Blick in das Innere der Schule

 

Nun möchten wir dem Leser einen Blick in das Innere der Schule gestatten. Der Bericht beschränkt sich aber nur auf das, was man von der Schule erwartete, weil aus früheren Zeiten nur noch Verordnungen aufbewahrt sind. Die Wirklichkeit wird vermutlich nicht so sehr hinter den Vorschriften zurückgeblieben sein. Die älteste noch vorhandene Schulordnung ist datiert mit dem 8. Januar 1788. Sie schrieb jährlich 49 - 50 Wochen Schulzeit vor, wobei in der Woche 5 Tage und pro Tag 6 Stunden Unterricht zu halten waren. Im Weiteren drängte sie auf fleissigen Schulbesuch, mit der Androhung, solche zur Verantwortung zu ziehen, welche nicht Folge leisten würden.

Als Unterrichtsthemen wurden darin die Kenntnis der Buchstaben, das Lesen von Gedrucktem und Geschriebenen, Schreiben, Gesang und Auswendiglernen bezeichnet, wobei man dem Auswendiglernen eine bedeutende Zeit einräumte. Als Lesestoff waren das Namenbüchlein, Fragstücklein, der Katechismus, das Gebetbüchlein, der Kalender, Zeitungen, Briefe und das neue Testament vorgeschrieben. Für Gedächtnisübungen wurden das Fragstücklein, der Katechismus und das „Vorbild“ verwendet. Alle Schüler mussten das „heilige Unser Vater“, die 10 Gebote und die 12 Artikel des christlichen Glaubens deutlich aufsagen können. Im Weiteren gab die Schulordnung verschiedene methodisch Winke und fordert in Beziehung auf die Disziplin:

“Es solle gute christliche Schulzucht gehalten, keine Parteilichkeit gebraucht, alles liegen, klagen, schweren, fluchen, zanken, schlagen, Übernamen, Schlötterlig anhenken, gschenden, pösslen, lautes Schreien und alle andere Unfugen den Kindern ohne Nachsicht und verschonen ernstlich abgewehrt, und wann solches nicht hilft, mit der Rute abgestraft werden“.

„Hingegen sollen die Kinder zur Liebe, Ehrerbietigkeit und Gehorsam gegen ihre Eltern und andere Vorgesetzte, zur Gottesfurcht, Wahrheit und Aufrichtigkeit, Freundlichkeit und Höflichkeit gegen jedermann öfters ermahnt werden“

„Eingedenk die Kinder seien als zarte Zweige ihnen von Gott selbst anvertraut, welche unter göttlichem Segen, durch den Fleiss der Schulmeister, guter Zucht und Lehre in dem Pflanzgarten der christlichen Kirche zu nützlichen und fruchtbaren Bäumen zubereitet werden sollen, damit es den selbigen zeitlich und ewig wohl gehen und selig werden mögen. Amen“.

 

So wie die Revolution die Welt aus einem tiefen Schlaf aufgeschreckt hatte, so brachte sie auch ein regeres Leben in die Schulen. Der Helvetischen Regierung gebührt das Verdienst, eine neue Epoche im Schulwesen gestaltet zu haben, obwohl sie wegen ihrer Untertänigkeit gegen das fränkische Direktorium und der daraus entstandenen Nachäfferei der fränkische Sitten und ihres üblen Haushaltes, bei vielen verschrien war. Sie war es auch, die den edlen Pestalozzi begünstigte, denn unter ihr begann sein menschenfreundliches Wirken und die geistbildende Methodik konnte sich entfalten. Die Helvetische Regierung entriss den Gemeinden auch die Willkür im Schulwesen und machte sie zur Landessache. Sie rief obrigkeitliche Schulordnungen ins Leben, stellte Inspektorate auf und sorgte für bessere Einrichtungen in den Schulen. Nach ihrem Sturz verlangsamten sich die Fortschritte im Schulwesen deutlich, die erreichten Verbesserungen blieben aber dennoch erhalten. Die am 7. Mai 1805 von Neu- und Alt-Räten erlassene Schulordnung, welche die Grundlage für die den Lokalverhältnissen angepassten Gemeindeschulordnungen bildet, unterscheidet sich aus folgenden Gründen vorteilhaft vom früheren Schulwesen:

 

1.

dass sie mehr Leistungen fordert (Art. 1)

2.

dass sie den Lesestoff bestimmt (Art. 2)

3.

dass sie auf pünktlichen Schulbesuch dringt (Art. 4, 5)

4.

dass sie Klasseneinteilung vorschreibt (Art. 6)

5.

dass sie dem willkürlichen frühen Entziehen der Kinder aus der Schule steuert (Art. 8)

6.

dass sie auf die Führung eines Lektionsplans dringt (Art. 9)

7.

dass sie die Einführung von Repetierschulen befiehlt (Art. 14)

 

Auch in unserer Gemeinde wurde damit der Wunsch nach Verbesserungen im Schulwesen neu geweckt. Das Regulativ des öffentlichen Unterrichts, die Schul- und Erziehungsordnung von 1802, bestimmte bereits die Klasseneinteilung in der Schule, führte Sprachübungen, vier Rechnungsarten und Verstandesübungen auf und reihte dem schon seit längerer Zeit gebrauchten Lesestoff das appenzellische Lesebuch und Rochow’s „Kinderfreund“ an. 1808 führte man nach heftigen Debatten die Lehrmethode Pestalozzis ein.

Am 15. Oktober1822 wählte die Gemeindebehörde eine erste Gemeindeschulkommission, welche die Schulen und damit auch die Ausführung der vorhandenen Verordnungen zu überwachen hatte und der Behörde Vorschläge über allfällige Verbesserungen im Schulwesen machen musste. Diese Kommission bestand aus dem Pfarrer, den beiden Hauptleuten und dem neuen und alten Schulpfleger. Am 16. Dezember 1822 fand ihre erste Sitzung statt, wobei der Pfarrer als Präsident den Vorsitz hatte. 1823 kaufte man Schmied’s „Biblische Geschichten“ und rief den Lehrern die Schulordnung von 1802 in Erinnerung. Sämtliche Schulkommissionsmitglieder verpflichteten sich, dem Entlassungsexamen der Alltagsschüler in der Übungsschule beizuwohnen. Im gleichen Jahr beschloss die Schulkommission:

 „Wer sich bei Ganztagschulen im ganzen Jahre 100 Versäumnisse zu Schulden kommen lässt, soll vor die Räte zitiert werden“.

 

1825 bestimmte die gleiche Behörde, dass sowohl Knaben als auch Mädchen von „ob dem Holz“, die Übungsschule im Dorf, diejenigen von „unter dem Holz“ die Übungsschule in der Schwende besuchen sollten; und nicht wie die Alltagschüler, willkürlich aus einer Schule in die andere wechseln dürften.

1826 forderte man die Schullehrer auf, mit den Kindern mehr Sprachübungen zu machen und das Diktatschreiben fleissiger zu üben. Die Kinder müssten in Zukunft auch die Hefte von geschriebenen Aufsätzen an das Examen mitbringen und nicht nur ein paar Texte, sonst würden sie zurückgewiesen. 1828 wurde die Schulordnung teilweise erneuert. Darin war die Einteilung der Kinder aller Bezirke, nämlich diejenigen Kinder im Dorf für die Unter- und Oberschule im Dorf, diejenigen im Bendlehn zu der Schule in der Erlen und aller Kinder unter dem Holz, zur Schule in der Schwende bestimmt. Die Schüler jedes dieser 3 Bezirke teilen sich in Alltag-, Mittel- und Repetierschüler auf. Die Schule wurde das ganze Jahr hindurch gehalten, wobei 1 Woche im Heuet, 1 Woche im Emtet, am Osterdienstag, am Nachtag zur Landsgemeinde und 2 Tage während des Jahrmarktes ausfielen. Der Unterricht fand wöchentlich während 5 ½ Tagen statt, wobei er im Sommer 7 Stunden und im Winter 6 Stunden dauerte. Als Unterrichtsfächer waren vorgeschrieben:

Das ABC, Syllabieren (silbenweises) und schönes Lesen, alle 4 Rechenarten bis hin zur Kettenregel, Kopf- und Ziffernrechnen, die 3 Elemente im Gesang nach Nägelis Methode, Auswendiglernen des grossen und kleinen Katechismus, des Erklärungsbuches, von Bibelsprüchen und Liederversen, deutsche Sprache mit Wortbildung, Wortunterscheidung (Wortarten), Wortbiegung, Interpunktion und Orthographie.

Als Stoff zu den Sprachübungen bestimmte man neben der Naturkunde Bibel-, Vaterlands- und Weltgeschichte.

Am Ende des zweiten und zu Anfang des dritten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts nahm das Schulwesen in unserem Land einen neuen Aufschwung, weil von Seite der Landesbehörde eine Reihe von neuen Anordnungen und Einrichtungen ins Leben gerufen wurde. Die neue Schulordnung vom Jahr 1837 schloss sich diesen Erneuerungen an. Die Gemeinden hatten damit einen Anstoss zur weiteren Entwicklung erhalten und Speicher wollte hier nicht zurückbleiben. Dies zeigt sich aus folgenden Beschlüssen und Bestrebungen. 1831 beschloss die Schulkommission, dass in der Unterschule auch die Anfänge im Schreiben, Kopf- und Ziffernrechnen gemacht werden sollten. Der amtierende Schulpfleger, Dr. Gabriel Rüsch, führte 1835 mit den Schullehrern Schulkonferenzen durch. Die sich daraus ergebenden Wünsche für Verbesserungen im Schulwesen zeigten, dass die Umgestaltung der Oberschule im Dorf zu einer Sekundarschule als dringend erachtet wurde. Die Schulkommission hielt die an sie herangetragenen Wünsche aber für unausführbar. Der Schulordnung von 1828 fügte man 1836 folgende Ergänzungen bei:

 

1.

Es sollen hierfür Halbtagesschulen gehalten werden, ausgenommen in der Vorschule im Dorf, sollen die Kinder im Sommer, Vor- und Nachmittag zur bestimmten Zeit 2 Stunden kommen und entlassen werden. In den übrigen Schulen soll es den Anfängern, oder 1. und 2. Klasse freistehen, am Vor- und Nachmittag 1 ½ - 2 Stunden zu kommen.

2.

Soll in der Regel das 12. Jahr als Minimum des Austritts aus der Tagschule angenommen sein.

5.

Das Lautieren und die Stundenpläne sind jedem Lehrer „überlassen, jedoch sollen sie solche entwerfen und der Schulkommission vorlegen“.

9.

Die Entlassungsexamen sollen von der Schulkommission in Zukunft in jeder Schule gehalten werden . Und so fort.

 

Am 27. Januar 1837 wurde eine Jugendbibliothek gestiftet, welche heute aber mangels neuer Bücher nicht mehr benutzt wird. 1837 erschien eine neue Schulordnung, welche zwar in manchen Gemeinden Widerstand hervorrief, in Speicher hingegen gut aufgenommen wurde. 1843 erschien eine so genannte Jugendordnung, die sich auch auf den Gottesdienst, den Religionsunterricht für Übungsschüler, den Konfirmationsunterricht und das Verhalten der Jugend ausserhalb der Schule, der Kirche und dem Religionsunterricht bezog und welche mit der Schulordnung abgeglichen war.

Inzwischen wurden auch mehr Schulmaterialien angeschafft, wie zum Beispiel: die Keller’sche Wandkarte der Schweiz, Schweizer Geschichte von verschiedenen Autoren, die Bibelgeschichte von Kündig und vom Calwerverein, das appenzellische Lesebuch, aber auch dasjenige von Scherr, sowie geographische und andere Tabellen.

Auch die Leistungen der Schüler wurden immer besser. Es gibt in allen Schulen Speichers eine ordentliche Anzahl Kinder, die zum Teil mit guter Betonung lesen und über das gelesene befriedigende Auskunft geben können. Sie sind auch fähig, ordentliche einfache Aufsätze zu schreiben, beherrschen das Ziffer- und Kopfrechnen so weit, dass sie sich in ganzen Zahlen, Brüchen und Geschäftsrechnungen bewegen können. Sie singen und schreiben ziemlich gut, sind in der biblischen Geschichte relativ gut bewandert und auch in der Vaterlandsgeschichte und Geographie nicht ganz unkundig. Die regierungsrätlichen Schulinspektoren sprachen deshalb über das, was Speicher bisher für das Schulwesen leistete, ihre Anerkennung aus.