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Ein wesentliches Mittel zur
Verbesserung des sittlichen Charakters sind Lesegesellschaften, sie bedeuten
aber auch eine treibende Kraft zur Verbesserung der Bildung des Volkes. Der Zeitraum, welchen unsere
Väter für das goldene Zeitalter hielten, waren die gepriesenen
Achtzigerjahre. Damals fühlte man noch kein grosses Bedürfnis nach
literarischer Unterhaltung. Gesättigt durch das momentane grosse
Volkseinkommen und die Überfülle der Gaben, welche uns die Natur in
überreichlichem Masse darbot, fühlte man sich glücklich und träumte von ungestörter
Behaglichkeit und Ruhe. Am Ende jenes Jahrzehnts schreckte die französische
Revolution die Träumenden auf, brachte Kummer und Sorgen, weckten aber
gleichzeitig die schlummernden Geisteskräfte und das Bedürfnis nach geistigen
Genüssen. Das bewirkte die Gründung einer Art literarischer Gesellschaft,
welche eine gemeinschaftliche Lesebibliothek im Pfarrhaus in Speicher
stiftete. Diese Bibliothek ging aber in den Stürmen der Revolution zu Grunde
und die zusammengetragenen Bücher wurden überall hin zerstreut. Ein zweiter
Versuch wurde 1810 gemacht. Junge Leute versammelten sich an einem Abend in
der Woche in einem Haus in der Schupfen. Diese Lesegesellschaft glich aber
einem vorüber ziehenden Kometen und ging auseinander, ohne dass man über das
wie und warum etwas weiss. Der dritte Verein dieser Art
ist die sogenannte „Sonnengesellschaft“, oder wie sie sich selbst nannte:
„Gesellschaftlicher Verein“. Einer Einladung von Alt-Landesfähnrich Tobler
folgend, trafen sich am 6. Oktober 1820
im mittleren Wirtshauszimmer von Oberst Rüsch zur Sonne 18 unter sich
längst befreundete Gemeindebewohner, um diese Gesellschaft zu gründen. Sie beschlossen
einhellig: “dass sie, in der Absicht, sich gegenseitig zu
unterhalten und zu belehren, einen gesellschaftlichen Verein bilden und
gerade in demjenigen Lokale, wo sie sich befänden, wöchentlich ein Mal, und
zwar in der Regel jeden Donnerstag Abend, versammeln wollen“. Damit die Gesellschaft
organisiert werden konnte, wählte man einen Präsidenten, einen Seckelmeister
und einen Schreiber. Als oberstes Gesetz bestimmte man die Zwanglosigkeit und
Gleichheit der Rechte und Pflichten aller Mitglieder. Niemand war gezwungen
zu erscheinen, ausser bei der Aufnahme neuer Mitglieder, wozu zwei Drittel
der Stimmen erforderlich waren. Der Präsident blieb 2 Jahre im Amt, dann ging
diese Funktion an ein anderes Mitglied über. Die Versammlungen sollten in der
Regel 3 Stunden dauern. Jedem Mitglied war es gestattet, einen Gast
mitzubringen, worunter jedoch eine Person verstanden wurde, die ausserhalb
der Gemeinde wohnte. Diese Erlaubnis wurde oft und
umso lieber benutzt, da die Fremden jederzeit eine freundschaftliche Aufnahme
fanden. Was die Geschäftsordnung betrifft, so widmete man sich in der ersten
Stunde der Versammlung der freien Unterhaltung und Erfrischung. Nachher hatte
derjenige, welcher an der Reihe war, eine Vorlesung zu halten. Die Auswahl war ihm freigestellt, sie
musste jedoch so beschaffen sein, dass sie eine Grundlage für vernünftige und
lehrreiche Unterhaltung sein konnte. Diese Vorlesungen werden heute noch
durchgeführt. War der Vortrag vorüber, so hatte der Präsident eine Diskussion
zu eröffnen, in welcher die Anwesenden den Vortrag beurteilen konnten. Die
als nötig erachteten Beratungen und Beschlüsse fanden am letzten Donnerstag
des Monats statt. Zur Begleichung der Unkosten wurde eine Kasse gebildet, in
welche jeder je nach Bedürfnis einen alljährlichen Beitrag von 1 Gulden, 21
Kreuzer bis 2 Gulden, 42 Kreuzer einlegen konnte. Neumitglieder mussten zudem
die Bibliothek mit einem angemessenen Werk vergrössern. Diese war bis 1850
auf zirka 600 Bände angewachsen und wurde zum Teil aus den zurückgekehrten
Zirkulationsschriften, teils aber auch durch die oben erwähnten Geschenke und
durch freiwillige Beiträge gespiesen. Die vorhandenen Protokolle
der „Sonnegesellschaft“ weisen nicht nur eine Reihe von sehr interessanten
Vorlesungen und schriftlichen Arbeiten der Mitglieder auf, sondern erzählen
auch von angenehmen Unterhaltungen und Zusammenkünften mit verwandten
Vereinen. Im weiteren sind auch Beratungen erwähnt, welche das allgemeine
Wohl bezwecken, wie z.B. über die Gesangbuchangelegenheit 1821, 1822, 1832
und 1833, über die Förderung des Wohlstandes im Lande 1821, die Errichtung eines
Provisorats, was bisher glücklicherweise noch nicht nötig war, über das
Industriewesen 1828, die Revision des Landbuches 1829 - 1833, den
Jugendunterricht, den Unterricht junger Erwachsener und die Arbeitsschule.
Dass die Sonnengesellschaft es nicht mit Worten bewenden liess, sondern sich
nicht scheute Opfer zu bringen, bezeugt der Umstand, dass sie im ersten Vierteljahrhundert
ihres Bestehens immerhin 344 Gulden 57 Kreuzer für den Unterrichtsfond und
die Arbeitsschule, 195 Gulden 21 Kreuzer für den Handwerksfond, 139 Gulden 57
Kreuzer für die Verteilung des Zürchergesangbuches in der Gemeinde in den
Jahren 1821 und 1833, 103 Gulden 27 Kreuzer für den gleichen Zwecke in die
Gemeinden Bühler und Schwellbrunn und 95 Gulden 33 Kreuzer für die „Wäldler“
zur Errichtung eines Spitals bezahlte. Im Ganzen wurden, mit Ausnahme der
Einbusse für die Erdäpfelanstalt, 749 Gulden 13 Kreuzer an wohltätige Zwecke
überreicht. Auch im zweiten Vierteljahrhundert ihres Bestehens konnte sie in
den Jahren 1846 und 1847 wegen der anhaltend grossen Teuerung an den
wohlfeilen Milch -, Mehl - und Maisverkauf spenden. Wie alle Vereine, so hatte
auch die Sonnengesellschaft ihre verschiedenen Stadien. Als Höhepunkte können
die Jahre 1832 und 1833 angesehen werden, in welchen durch ihre Unterstützung
die Fortschritte im vaterländischen Gesetzeswesen erzielt wurden. Ungleiche
Ansichten über die 1834 erneuerte Gemeindeordnung und Emanzipation der
Beisassen machten sich auch unter den Mitgliedern der Sonnengesellschaft
breit und erzeugten ziemliche Spannungen. Die bis anhin bekannte,
vertrauliche Unterhaltung, war eine Zeit lang plötzlich wie gehemmt und
schadeten der Entwicklung der Gesellschaft, welche seither nie wieder den vorangegangenen
Höhepunkt erreichen konnte. Als Oberst Rüsch 1842 seine
Wirtschaft aufgab, wurde das Gesellschaftslokal in die „Krone“ verlegt. Im
gleichen Jahr wurde dort auch ein Casino eröffnet. 1844 verlegte die
Gesellschaft ihr Vereinslokal und die Bibliothek in das Gasthaus „zum Löwen“. Mag diese Gesellschaft zum
Segen unserer Gemeinde noch lange weiter bestehen und für Speicher sowohl als
Vorbild guter Unterhaltung, als auch zur Stützung eines edlen Charakters
erhalten bleiben! Mit weniger finanziellen Hilfsmitteln
ausgerüstet und daher auch weniger befähigt, auf das öffentliche Leben
einzuwirken, war die 1828 gegründete Lesegesellschaft zum „Schäfle“ und
nachher zur „Linde“. Ihr Hauptanliegen fand man, nebst geselliger Unterhaltung
durch Lektüre, hauptsächlich im Eifer für die Revision des Landbuches. Mit
der Blüte der Revisionszeit verwelkte auch diese Gesellschaft und löste sich
im Jahr 1833 auf. |