VII.

Das Volk in seinem Berufs-, gesellschaftlichen und sittlichen Leben

Berufsleben

Handelschaft und Gewerbe

 

O selig ist das Volk, das sich, den Herrn der Welt,

verehrt und dein Gesetz mit treuem Herzen hält!

Wie wird es froh vor dir im Licht der Wahrheit wallen

Beschützt durch deinen Arm! Es ruht dein Wohlgefallen

Mit Vatertreu auf ihm. Auf allen seinen Wegen

blüht Treu und Wahrheit auf und folgt ihm Heil und Segen

 

Anlässlich des Todes von Alt - Ratsherr Schläpfer im Kaufhaus schrieb Dekan Frei in seiner Würdigung im appenzellischen Monatsblatt:

„Wenn die Gemeinde Speicher an ihre gemeinnützigsten, biedersten und geachtetsten Mitbürger Preise auszuteilen hätte, so würde die allgemeine Stimmung längst einen solchen Preis dem G.L Schläpfer zugesprochen haben, der den 4.  Herbstmonat 1840 daselbst beerdigt wurde“.

 

Auch der Leichenredner sagte:

„Wenn er unverletzt an den Klippen seines Berufes vorbeisteuerte, wenn er weder von der Hab- und Gewinnsucht, noch von der Genuss- und Verschwendungssucht, noch von beiden zugleich Schaden an seiner Seele nahm, so rettete ihn sein christlich - religiöser Sinn“.

 

Wer diese Worte liest, erinnert sich unwillkürlich an Schläpfer’s Altersgenossen, welche zwar nicht in solch grossem Umfang, aber dennoch vieles zur Entwicklung unserer Gemeinde beitrugen. Weiter schrieb der Autor:

„wem stellt sich ihr einfach frommes Wesen nicht als ehrwürdiges Bild aus seiner Jugendzeit vor die Seele; wer sieht nicht die achtbaren Väter als Gewerbsleute, als Gesellschafter, als Familienglieder und Bürger in ihrer sittlich religiösen Grösse vor sich stehen, und wer will es dem Geschichteschreiber seiner Gemeinde missdeuten, wenn er seinen Mitbürgern das Beispiel ihrer Väter empfiehlt und sie daran erinnert, dass die gute Zeit nicht allein sie zu dem Wohlstande führte, wovon wir noch Genuss haben, dass vielmehr ihr christlich religiöser Sinn mit seinem sittlichen Einflusse aufs Berufs- Gesellschaftliche und Häusliche Leben sie erst geschickt machte, aus der guten Zeit wahren Segen zu ziehen?“

 

Nach diesen einleitenden Gedanken des Autors wollen wir nun zum Thema dieses Kapitels überleiten und von den  Erwerbsquellen des Volkes berichten.

Die Viehzucht galt in früheren Zeiten als der Hauptnahrungszweig, wobei auch der Ackerbau und die Bienenzucht in etwas weniger grossen Umfang dazu beitrugen. Da diese aber wenig Bemerkenswertes bieten und ihr Einfluss auf unsere Kultur und die gegenwärtige Entwicklung der Dinge so unwesentlich ist, beschränken wir uns auf das, was wir schon im Kapitel „Topographie“ unter dem Abschnitt „Naturerzeugnisse“ darüber gesagt haben. Wir leiten deshalb zur reichhaltigen Geschichte der Industrie über.

Weil die Viehzucht ohnehin nicht alle Bedürfnisse befriedigen konnte und sich dies bei der zunehmenden Bevölkerung noch weiter verstärkte, musste man sich nach anderen Erwerbszweigen umsehen. Schon früh wählte man deshalb die Verarbeitung von Kleiderstoffen, wobei früher besonders die Leinwand - und neuerdings auch die Baumwollfabrikation die wichtigsten Erwerbszweige bildeten. Dieser Industriezweig verbreitete sich von St. Gallen her aus und war für unsere Leute eine gute Verdienstquelle. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts wurde in Speicher, Trogen oder Teufen noch keine Leinwand gewoben. Dank ihrer Geschicklichkeit fanden viele Frauen einen Erwerb durch das Spinnen von Garn für St. Gallische Weber. Als im Jahr 1572 mit der grässlichen Bartholomäusnacht Mord und Schrecken durch ganz Frankreich verbreitet wurde, stockte auch der Handel in St. Gallen. Die Webermeister mussten alle Arbeiten einstellen und kauften deshalb kein Garn mehr im Appenzellerland. Unser Land war nun auf sich alleine gestellt. Zwischen 1571 und 1572 stieg die Teuerung als Folge von Missernten so stark an, dass viele Leute vom Erwerb des Spinnens nicht mehr leben konnten. Als Gegensatz dazu hatten die Weber in St. Gallen aber keine Not zu leiden. Etliche von ihnen sollen sogar vermögende Leute geworden sein.

„Da entschlossen sich reiche und gemeine Landleute, sie wollen ihre Weiber und Töchter Garn selbst weben oder weben lassen, einige Tücher machen und verkaufen, und liessen daher ihre Söhne bei den Webern, die in St. Gallen gewoben, das Handwerk lehren“.

 

Ulrich zu Brenden und Georg Schläpfer aus Wald waren die ersten, welche auf eigene Rechnung weben liessen. Da es ihnen dabei gut ging, folgten bald andere. Der erste Fabrikant in Speicher war Johannes Rechsteiner, der in unserer Gemeinde „Elsen Hans“, an anderen Orten der „Leinwandmacher von Speicher“ genannt wurde. Er arbeitete sich vom Brotträger und Knecht zu einem reichen Mann heran und hinterliess nach seinem Tod ein Vermögen von 33'000 Gulden. Seine Güter, welche 12 Bauernhöfe umfassten, erstreckten sich vom Rüschen bis zum Gern hinunter. Beim Start seiner Geschäftstätigkeit im Jahr 1638 kostete die Elle Leinwand „gemeines rotes Kreuz“ 77 1/2 Den..  Im Jahr 1674 fiel der Preis auf 23 Pfennig und stieg bis zu seinem Rückzug aus dem Geschäft im Jahr 1695 auf 31 Pfennig. Seine drei Söhne Uli, Baschon und Häni widmeten sich ebenfalls mit grossem Erfolg dem Leinwandgewerbe, welches nicht nur den Wohlstand einzelner Fabrikanten, sondern auch das Aufblühen der ganzen Gemeinde begründete. Ihre Zahl nahm seither stetig zu und stieg bis zum Jahr 1780 auf 120 Fabrikanten. Gewinnbringende Jahre wie 1814,  Anfangs der 1820er Jahre, 1836 bis 1842 und 1848 bis 1850 ermunterten immer weitere, diesen Beruf zu ergreifen. Speicher zählte deshalb 1846 bereits 30 Webfabrikanten und 27 Stickfabrikanten. Die in Speicher produzierten Textilprodukte im Überblick:

Leinwand, bis zum Schluss der 1780er Jahre wohl das wichtigste

Gebildete Kölsch und Barchent, so um 1780

Guter, starker Seidenflor oder Crépe genannt um 1730

Kleine gestreifte Waren um 1740

Kleine geblümte Waren um 1740

Halstücher, Chorhemden, Manchetten (Muggen genannt), die von 1730 bis 1760 einen begehrten und daher gewinnbringenden Artikel bildeten, wurden fast ausschliesslich in Speicher gewoben. An ihnen verdienten die Familien Baumgartner und Rechsteiner sehr viel Geld. Feine, glatte Leinwand, wurde ebenfalls seit ca. 1740 fabriziert, wobei 5/4  breite, glatte feine Leinwand bis in die Jahre um 1760 1 Gulden 36 Kreuzer pro Elle kostete.

Die Leinwandfabrikation wurde aber nach und nach durch die ca. 1750 bei uns einheimisch gewordene Mousseline verdrängt. Dieses dünne Baumwollgewebe, hat seinen Namen von der bekannten Handelsstadt Mossul in der asiatischen Türkei und bietet eine grosse Vielfalt in seinen Artikeln. Anfangs machte man glatte, dann gestreifte, eng gestreifte (mille-rayée), trilch-gehäuselte (quadrillée), durchbrochen (damasquée), mit eingewobenen Punkten oder Blumen (Muga, mouches), eine Art Pelzgewebe, welche unter den verschiedensten Formen auch heute noch bestehen. Auch Halstücher von verschiedenster Art wurden hergestellt. Bei der Einführung der Schnellweben ums Jahr 1802 wurde besonders viel feine glatte Mousseline gewoben, die aber bei uns nie in dem Ausmass einheimisch wurde, wie im Toggenburg.

Zur Revolutionszeit und zum Teil noch später, waren die sogenannten Nationalhalstücher sehr begehrt und man konnte sie daher mit reichlichem Gewinn fabrizieren. Mit diesen Halstüchern und der seit 1802 aufgekommenen Flammenweberei verdienten viele Weber einen Gulden im Tag. Fast niemand wollte mehr die geblümten Halstücher weben, welche seit 20 Jahren in grossen Mengen produziert wurden.

Später machten die 6/4 breiten Nationalhalstücher den 7/4, 8/4, 9/4 und 10/4 bis 14/4 breiten Halstüchern Platz. Im Weiteren fabrizierte man viele kostbare Schleier und Schals, wobei auch die Stickerei ihren Anteil beitragen konnte.

Während der Handelskrise litt die Fabrikation durch das Einfuhrverbot für englische Waren und somit auch des Garnes. Viele mussten es nun bitter büssen, weil sie die Viehzucht und den Landbau ganz vernachlässigt hatten. Der Sturz Napoleons beflügelte den Handel wieder und damit auch die Lust auf Fabrikation. Ihre Blütezeit war zwischen 1813 und 1815. Inzwischen aber nötigte die zunehmende Konkurrenz wieder zu weiteren Fortschritten in der Webtechnik.

Um 1810 kam die Gaze, ein dem Tüll ähnliches Gewebe, in Mode. Man produzierte verschiedene Sorten wie die gewöhnliche Gaze, das Gätterli, oder die gestreifte (Betille), auch broschierte Gaze genannt, welche dann zu Kragen, Hauben, Chemisetten und Kleidern verarbeitet wurden. Ihre Hauptzeit fällt in die Jahre von 1810 bis 1836, danach wurde sie nach und nach durch andere Artikel verdrängt. Die einfache Gaze erhielt ihren Anstoss durch den Tüll. Die faconierten Gewebe arteten bei immer grösserer Verbreitung und dadurch sinkenden Preisen mehr und mehr aus und kamen so ausser Mode. Nur die sogenannte dreifadige Jacquardgaze, welche Ratsherr Koller seit 1838 in der Steinegg produzierte, konnte sich längere Zeit halten, bis sie durch die einen schöneren Effekt erzielenden Jacquardgewebe verdrängt wurde.

Das zur gleichen Zeit wie die Gaze aufkommende Trikot konnte sich bis zur heutigen Zeit behaupten. Das, dem façonierten Tüll ähnliche Gewebe mit Nadelstäben, wird hauptsächlich zu Hauben und Chemisetten verarbeitet. Hingegen wird das mit dem Trikot verwandte und gegen Ende der 1820er hergestellte Nadelweben, welches für Kragen und Entre-deux verwendet wurde, nur noch im Toggenburg fabriziert. 

Von zirka 1810 bis tief in die 1820er Jahre hinein florierten auch die Cravattes mit gefärbten und weissen Würfeln. Neben diesen kamen etwas später die sogenannten Kreuzlein auf, welche zuerst die Würfel zu verdrängen drohten, später aber zum Teil als kombiniertes Muster produziert wurden und schlussendlich wieder verschwanden.

Ein Artikel, welcher seit 1812 mit schönem Verdienst hergestellt wurde, waren die 10/4 breiten Fransenhalstücher mit Trilchstreifen. Im Laufe der Zeit war aber auch dieses Produkt nicht mehr so gefragt, so dass der Weberlohn bis ins Jahr 1830 von 40 Kreuzer auf magere 6 Kreuzer das Stück und später noch tiefer sank.

Um 1820 spielten auch die englischgeblümten, 7/4 breiten Halstücher eine grosse Rolle. 10 Jahre später kamen sie wieder ausser Mode, während das übrige englischgeblümte für Kleider noch immer Verdienst abwirft.

Auf den damals existierenden einfachen Webstühlen wurden neben glatter Mousseline, welche man hauptsächlich für Stickereien verwendete, midouble, karierte, gestreifte, geblümte und satinierte Gewebe fabriziert. Diese Gruppe von Mousseline - Produkten wurden in immer wieder veränderter Form hergestellt, welche sich aber je nach der herrschenden Modeströmung gegenseitig verdrängten, bis sie in neuerer Zeit durch den Plattstich und den Jacquard mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt wurden. J.K. Altherr von Teufen gebührt der Verdienst, den geeigneten Stuhl für die Plattstich - Stickerei erfunden zu haben, nachdem man ihm 1824 ein Warenmuster als Vorlage gegeben hatte. Mit seiner Maschine konnte ein Artikel produziert werden, welcher sehr lohnenswert war und der nach dem Urteil des achtenswerten Kaufmannes W. Weydmann aus St. Gallen, unter erneuerter Gestalt stets bestehen kann. Kurz nachdem man in Bühler und Teufen den Plattstich -, wie auch den Jacquardstuhl verwendete, wurde er auch in Speicher eingeführt, obwohl diese Maschinen noch nicht sehr gut funktionierten. In unserer Gegend machte Ratsherr Koller 1836 als erster von der eigentlichen Jacquardmaschine für Mousselinegewebe Gebrauch. Jacquard trägt seinen Namen von Jacquard aus Lyon, dem Erfinder einer Webmaschine, mit welcher man schneller, bequemer, schöner, besser, günstiger; kurz gesagt, vorteilhafter alle möglichen broschierten, damascierten und faconierten Artikel weben kann.

Ratsherr Koller gründete 1837 in der Steinegg seine Jacquardfabrik. Er vergrösserte sie 1841 dermassen, dass in zwei Gebäuden etwa 40 Maschinen in Betrieb sind, welche etwa 80 Stück pro Woche liefern. Daneben betreibt er innerhalb und ausserhalb von Speicher in verschiedenen Webkellern weitere Maschinen, wie dies auch andere Fabrikanten tun.

Im Laufe der Zeit änderte sich der Bedarf an gewobenen Textilien. Die Fabrikation wurde immer wieder umgestellt und es folgten nun nacheinander die feinen weissen und gefärbten Mousselinestücke mit Bouquets und Ramages, mit Plattstich (1836), Shawls, Robes, Bordures, Cravattes, Rideaux, Stores (1840), Echarpes, Vitrages, durchbrochenen oder faconierten A-jour, auf Mousseline - und Gazeböden (1842), Ketten, Kettenfacon-Jacquard, Ombre gestreift (1846) und Colonne-Jacquard von doppelt brochierter Gaze (1848), welche zum grössten Teil jetzt noch alle fabriziert werden. Mit dieser Vielfalt wurde der Kreativität ein neues Betätigungsfeld geöffnet.

Bis anhin haben wir fast ausschliesslich von der Weberei gesprochen, nun wollen wir die Aufmerksamkeit auf die Stickerei, einem weiteren Hauptzweig unserer Wirtschaft lenken:

Durch St. Gallische Kaufleute soll dieses Gewerbe von Lyon aus in unsere Nachbarschaft gebracht worden sein. In den Jahren um 1760 sollen auch bei uns die ersten Stickereien hergestellt worden sein. Das Sticken wurde umso wichtiger, als mit der Einführung des englischen Garnes um 1780 die Garnspinner erwerbslos geworden waren. Der eine Teil der Spinner verlegte sich nun aufs Weben, der andere aufs Sticken. Wie in der Weberei wurden auch in der Stickerei schöne Fortschritte erzielt, wobei der eine Wirtschaftszweig den anderen jeweils anspornte.

Schon während der Revolutionszeit wurden kostbare „Shawls“ fabriziert, welche 1,2 bis 3 Louisdor kosteten. Zudem wurden kunstreiche Blumen mit Seide und Gold auf Mousseline gestickt, die ein sehr natürliches Aussehen hatten. Ein  solches Stück, das „8 Stab“ mass, kam auf 200 - 300 Gulden zu stehen. Weitere Produkte waren Ramages, Bouquets, Colonnes, Triangles, sehr viel gestickte Ecken auf Nas- und Halstücher und Millefleurs. Diese Artikel werden bis heute produziert, obwohl sie einem steten Wechsel des Dessins und des Gewinns unterworfen sind und durch die günstigeren Jacquardgewebe grosse Einbussen erlitten haben. Ebenfalls um die Revolutionszeit kam der Hohlstich auf. Was anfangs mit schönem Verdienst startete, wurde aber schon um 1810 unbeliebt.

Nicht besser erging es dem Langstich, der hier in den Jahren um 1830 aufkam. Wegen seines Effektes, den er durch sein stark ins Auge fallende Aussehen hatte, wurde er über mehrere Jahre auf Halstücher und Vorhänge gestickt. Als die Menge der Fabrikanten durch den Stickereiboom zunahm, erhöhte sich auch der Konkurrenzdruck, was sich auf die Qualität der Stickerei auswirkte. Anfangs warfen die billigeren Ausführungen noch einen schönen Gewinn ab. Die Nachfrage nach besserer Qualität stieg aber bald bei den Kunden, welche mehr von Qualität als vom grossen Effekt hielten. Deshalb verlor diese billige Massenware immer mehr von seinem früheren Kredit und die Fabrikanten erkannten, dass eine erhöhte Eleganz des Stiches grösseren Ertrag brachte.

Der kurze Plattstich wurde 1801 von Frau Zellweger aus Trogen in Genua erlernt und dann an die Mutter von Oberst Bruderer und andere weitergegeben. Dieser Kurzstich, wie er auch genannt wurde, war anfangs eher etwas primitiv ausgeführt. Da diese Art aber sehr stabil war, wurde sie immer beliebter und ist bis auf den heutigen Tag ein lohnender Artikel geblieben. Mit der Einführung der Plattstichweberei ging die Produktion aber bedeutend zurück.

Für den Luxus und die Modewelt, die immer wieder Neues sucht und verlangt – namentlich für Damenputz – wurden noch weitere Stickformen wie der Neustich und der Steppstich erdacht. Diese wurden dann auf Krägen, Roben, Taschentücher in Verbindung mit dem Kurzstich gestickt. 1836 begann man mit der sogenannten Applikationsstickerei. Bei dieser Ausführung wurden meistens zwei verschiedene Böden, wie Tüll und Mousseline und Midouble, auf einander geheftet und zum Schluss zusammengestickt. Durch das nachherige teilweise wegschneiden des einen Bodens tritt an den doppelten Stellen der andere deutlicher hervor. So konnte auf eine viel preisgünstigere Art der beabsichtigte Effekt erzielt werden, als es mit der gewöhnlichen Stickerei der Fall war. Zudem entstand durch das Ausschneiden ein Erwerbszweig, der bei den Ausschneidern der gewobenen brochierten Artikel sehr willkommen war. Die Aufträge bei den brochierten Webwaren waren wegen der aus Frankreich herübergebrachten Erfindung eines mechanischen Ausschneidestuhls, der einzig beim Plattstich nicht angewendet werden konnte, fast ganz zurückgegangen.

Durch den immer weiter steigenden Luxus waren die Tüllstickereien, namentlich für Rideaux, Shawls, aber auch für Roben immer mehr gesucht. Bordierte Artikel mit gefärbtem Baumwollgarn waren in der Levante stark begehrt. Für die noblere Welt hingegen wurden bunte Broderien mit gefärbter Wolle ausgeführt. Sie waren zu Teil mit einer Farbe, teilweise ombriert gestickt, wobei sie entweder vom Hellen ins Dunkle nuancierend oder aus der einen Farbe am gleichen Faden in verschiedene andere überging. Diese Art war in Amerika sehr beliebt.

Hohlstich, Steppstich, aber auch das Knöpfeln wurden in immer grösserer Vielfalt hergestellt. Beim Steppstich zählte man mehr als 40 Formen, beim Hohlstich war die Vielfalt noch grösserer. Dank Luxus, Eleganz und Mode konnte sich die Stickerei sehr erfolgreich entwickeln. Fabrikanten, welche Sinn und Geschmack für diesen Erwerbszweig hatten, reüssierten fast ohne Ausnahme, einige von ihnen erwarben sich damit sogar ein schönes Vermögen.

Gegenwärtig produziert Speicher Artikel von der geringsten Judenware bis zu den ausgezeichneten weissen und kolorierten Stickereien. An der Londoner Weltausstellung erhielten die Gebrüder Eugster für ihre eingesandten Mousseline - Rideaux und  - Stores eine Ehrenerwähnung. Ratsherr Altherr aus Speicher und das Haus Schläpfer, Schlatter und Kürsteiner in St. Gallen, wo Oberst Schläpfer, als Bürger und Bewohner von Speicher beteiligt ist, wurden für ihre Tüllvorhänge sogar mit einer Medaille ausgezeichnet.

Bevor wir von den verschiedenen Baumwollemanufakturen zu einem anderen Industriezweig übergehen, wollen wir noch ein paar Einrichtungen erwähnen, welche in diesem Produktionszweig nötig sind:

 

1.

Die Baumwollgarnzwirnerei. Um das Ende des vorigen Jahrhunderts wurde die erste Zwirnerei von Hans Heinrich Schläpfer im Sägli errichtet. Bald folgte eine solche von Johannes Meier auf der Röhrenbrugg, etwas später die von Jakob Eugster auf Neppenegg, danach diejenige von Mathias Eugster an der Blatten, bis schlussendlich 1850 die von Hans Heinrich Schläpfer an der Kohlhalde errichtet wurde. Die Zwirnerei von Johannes Meier ging ein und diejenige von Jakob Eugster wurde ins Eggtöbeli versetzt. Johann Ulrich Etter an der Halden besass eine Fadenzwirnerei alter Konstruktion, die nach seinem Ableben im Jahr 1852 erfolgreich versteigert  wurde.

2.

Die 1803 von Schittli im Almenweg erbaute Bleiche mit Walke gehört seit 1843 zu Teufen. 1846 brannte das Tröcknehaus ab.

3.

Die Färberei. 1827 errichtete Heinrich Oertli im Sägli eine Färberei. Der neue Besitzer, Hauptmann Caspar Rechsteiner, erweitert er sie und machte sie zu einer der besten in der ganzen Umgebung.

4.

Die Brennerei.  Von 1827 – 1829 wurde eine solche von Johannes Tobler zum Anker betrieben.  Die Brennerei von B. Tanner in Rütenen wurde 1837 erbaut, brannte aber 1841 nieder und ging in der Folge ein.

5.

Die Ausschneidemaschine. Ratsherr Koller in der Steinegg verbesserte diese Maschine wesentlich. Obwohl die Ausschneidemaschinen durch ihre Leistung den Menschen ihren Verdienst entziehen und deshalb verschrien sind, bleiben sie bei der jetzigen grossen Konkurrenz ein notwendiges Übel. Mit ihrer Hilfe können nicht nur viel preiswertere, sondern auch geschmack-  und kunstvollere Arbeiten geliefert werden.

6.

Die Spul- und Zeddelmaschine. Diese sehr sinnvolle Maschine wurde von Ratsherr Koller erfunden und kann das Garn ganz regelmässig auf den Webbaum aufwinden.

7.

Die Appretierung. Diese ist momentan noch durch Ratsherr Zürcher im Bau begriffenen.

 

In der jüngsten Zeit versuchte man durch die Einführung der Seidenraupenzucht einen neuen Erwerbszweig zu erschliessen. Der appenzellischen gemeinnützigen Gesellschaft gebührt der Verdienst, dass nach dem Tod des Unternehmers Johannes Tobler zum Anker die von ihm errichtete Seidenweberei in der nachherigen Drahtstiftfabrik in Trogen nicht einging. Lehrer Waldburger in der Schwende konnte hierauf verschiedene Bewohner seines Schulbezirks für diese Sache gewinnen. 1836 wuchsen in der Schwende etwa 1660 Maulbeerbäume. Diese wurden zum Teil selbst gezogen, oder aus Bollweiler und Hohenheim im Elsass importiert. Die ersten Versuche stellten sich sowohl in Bezug auf das Gedeihen der Raupen als auch auf die gewonnene Seide als vielversprechend heraus. Waldburger durfte mit Genugtuung feststellen, dass ihm im Durchschnitt auf 150 Raupen nur eine einzige zu Grunde ging. Auch die Resultate in der Entwicklung des Kokons waren befriedigend. 1839 erntete Lehrer Waldburger schon nach 26 Tagen die schönsten Kokons, was selbst im klimatisch bevorzugten Italien nur mit Kunstgriffen möglich war.

Die Familie Etter erlangte die Fähigkeit, mit gewöhnlichen Haspeln die im Wasser aufgeweichten Kokons auf eine so kunstvolle Weise abzuwickeln, dass dabei weit einiger Seide verloren ging als anderswo bei fabrikmässigem Abhaspeln durch Experten. Aus 7 Gramm Kokon konnten 3 Gramm Seide gewonnen werden. 100 schöne Kokons ergaben jedes Mal 11/2 Lot reine Seide. In einer Viertelstunde konnte man tausend Umgänge eines vierfachen Fadens abhaspeln, was einer Tagesleistung von 12 Lot (187Gramm) Kokons entsprach. Ein einziger Kokon ergab bis zu hundert Umgänge. Dabei stellte man fest, dass die einheimischen Kokons ebensoviel Seide liefern konnten, wie es von den italienischen Züchtern bekannt war. Die gleiche Familie hat die abgehaspelte Seide auch gespult, gezeddelt und gewoben. Aus 1491 Kokons wurde das erste 13 ¼ Ellen lange und 1 Elle breite Seidenstück fabriziert. Dafür lösten Etters einen Preis von 22 Gulden. Das zweite Stück hatte eine Länge von 28 Ellen, war 34“ breit und hatte ein Gewicht von 84 Lot. 1843 wurde ein halbseidenes Musterhalstuch hergestellt. Gleichwohl wollte dieser Erwerbszweig nicht richtig florieren, weil neben den günstigen Resultaten auch die ungünstigen nicht ausblieben. Der Hauptgrund lag wohl daran, dass die meisten der Bäume nicht recht gedeihen wollten.

Wie sehr den Geschäftsleuten unserer Gemeinde die Einführung neuer Industriezweige am Herzen lag, beweist der Umstand, dass sich diese an der Ausbildung von Mechanikern und Webern beteiligten. Als Heer und Co. in Rheineck durch einen englischen Mechaniker eine Tüllmaschine anfertigen liess und für den Bau und Betrieb Arbeiter benötigte, war es die „St. Gallisch - Appenzellische gemeinnützige Gesellschaft“, welche einen Vertrag zur  Ausbildung von 3 Mechanikern und 5 Webern abschloss. Heer und  Co. musste sich gegen die Bezahlung von 3300 Gulden dazu verpflichteten, alles zu zeigen, was zum Bau und zur Bedienung solcher Maschinen nötig ist. Die Beteiligung aus Speicher belief sich dabei auf 128 Gulden.

Über die Handelstätigkeit, von welcher der Erfolg unserer Fabrikation abhängt, können wir hier nicht näher eintreten, weil uns dies zu weit über die Grenzen unserer Gemeinde hinausführen würde. Wir können aber in dieser Beziehung auf die schon erwähnte Schrift von Dr. Gabriel Rüsch und seinen interessanten Bericht über den „Stand und Gang des Handels“ während der Jahre 1840 bis 1845 verweisen. Zudem möchten wir dem Leser in Bezug auf die Preise der Fabrikate und die Arbeitslöhne in den Fabriken auf dasselbe Buch verweisen. Zum Abschluss dieses Kapitels möchten wir noch die Arbeitslöhne ausserhalb der Textilindustrie und die Güter- und Häuserpreise aus verschiedenen Zeiträumen anreihen:

Beim ersten Kirchenbau von 1614 verdiente ein Zimmermann und ein Maurer 30 Kreuzer im Tag, ein Geselle 18 - 20 Kreuzer. Bei der Erweiterung der Kirche im Jahr 1723 erhielt ein Zimmer- und Maurermeister 40 Kreuzer Taglohn und eine Dublone à 7 Gulden 24 Kreuzer Trinkgeld dazu, der Geselle 30 Kreuzer pro Tag. 1850 ist der Taglohn eines Handwerkmeisters 1 Gulden 12 Kreuzer. Ein Geselle verdient nun 54 Kreuzer bis 1 Gulden, ein Taglöhner mit Speis und Lohn 48 Kreuzer pro Tag. In der Landwirtschaft verdient ein Mäher 30 - 36 Kreuzer, eine Worberin 20 Kreuzer im Tag. Einer Wäscherin bezahlt man 24 Kreuzer mit freiem Tisch.

 

Die Güter- und Häuserpreise waren einem steten Wechsel unterworfen. Beispiele:

-            Nr. 42  Diese Heimat kostete im Jahr 1662, als sie noch bis zum Gern hinunterreichte, 3800 Gulden. 1723 oder 1725 kostete die gleiche Heimat mit ihren jetzigen Grenzen 2900 Gulden, 1771 bereits 5000 Gulden und 1832 7000 Gulden

-            Nr. 268 war 1734 2800 Gulden wert. 1740 kostete sie mit einem neuen Haus 3400 Gulden, 1766 5500 Gulden, 1787 5800 Gulden und 1839 6600 Gulden. Beim Tausch im Jahr 1843 war diese Heimat bereits 7700 Gulden wert.

-            Nr. 99, hier sieht man die schwankende Preisentwicklung deutlich. Diese Heimat kostete 1806 475 Gulden, 1810 570 Gulden, 1815 700 Gulden und stieg bis1826 auf 800 Gulden. 1837 fiel der Preis auf 600 Gulden und stieg bis 1837 auf 700 Gulden und 1839 auf 740 Gulden.

-            Nr. 214, die Erstellung der Heimat kostete 1764 über 8000 Gulden. 1806 war sie noch 4000 Gulden wert, 1818 2300 Gulden, 1837 3500 Gulden und 1844 3700 Gulden.