Kriminalvergehen und Prozesse

 

„Wenn jemand den Griffel ergreift, um die Geschichte eines grösseren oder kleineren Gemeinwesens zu schreiben, aber besonders, wenn es sich um die Geschichte seines Ortes oder Vaterlandes handelt, so geschieht es so gerne, dass er mit grosser Vorliebe nur das Gute hervorheben will. Das Fehlerhafte wird oft mit dem Mantel der Liebe verhüllt, da jeder Unverdorbene von seinem Mitmenschen lieber Gutes als Böses sagt“.

 

Das oberste Gesetz eines Geschichteschreibers ist die Wahrheit und die Fähigkeit, sein Volk so zu zeichnen, wie es ist. Also füge ich mich in das Unvermeidliche und gebe an dieser Stelle eine Übersicht von Prozessen, Bussen und kriminellen Strafen, die entweder im Taumel der Leidenschaft, im strafbaren Leichtsinn, in der Folge von Gewissensbissen, oder in unverschuldeter Schwermut begangen wurden. Im Weiteren werden auch die Unglücklichen erwähnt, welche Hand an ihr eigenes Leben legten. Die leichteren Fälle listen wir in einer tabellarischen Übersicht auf, die Kriminalfälle hingegen wollen wir Fall für Fall betrachten, ohne aber die Namen der betroffenen Personen zu erwähnen. Mit dieser Vorgehensweise wollen wir unschuldige Nachkommen vor den Augen kurzsichtiger und boshafter Zeitgenossen schützen. Auch wenn wir aus den vorliegenden Tabellen mit grossem Bedauern die Überhandnahme von Prozessen und die grösser werdende Zahl von Bussen entnehmen, so ist es doch erfreulich, dass die Zahl der kriminellen Taten bedeutend geringer geworden ist, als sie es früher war. Der Grund der vielen Prozesse liegt vermutlich eher in den vielfältigen Lebensverhältnissen und in einem abnehmenden Sinn für „Dein und Mein“, als in einer vorhandenen Prozesssucht, welche sich auszubreiten droht.

Wir dürfen wohl verlangen, dass man unsere Zeit in Bezug auf die Prozesse gerecht beurteilen wird; wir dürfen uns aber in Bezug auf die Kriminalfälle auch nicht brüsten, viel besser als unsere Vorfahren zu sein. Wenn wir bedenken, dass man früher strenger bestrafte, als die gegenwärtige Justiz, sind Vergleiche in diesen speziellen Fällen trotzdem möglich. Ob die grössere Strenge eine Folge der damals raueren Zeit war, oder ob die Gegenwart wegen der krampfhaft versuchten Aufrechthaltung der Moralität kälter geworden ist, können wir nicht sagen. Dies zu prüfen und zu beantworten, will der Verfasser jedem Leser selbst überlassen!

 

Delinquenten (Übeltäter):

 

1628

am 24. Mai wird U.L wegen Diebstahl auf den Pranger gestellt und mit Ruten geschwungen.

1631

am 24.Mai wird D.S. wegen Blutschande und Versuch zum Selbstmord an das Prangerhalseisen gestellt.

1672

am 24. Juli wird U.K. wegen Sodomie (Geschlechtsverkehr mit Tieren) mit dem Schwert hingerichtet.

1708

am 21.Okt. wird J.E. wegen Diebstahl enthauptet.

1708

am 24. April. wird J.Z. wegen Entzug der Pflichten gegenüber Weib und Kinder auf den Pranger gestellt und mit 50 Gulden gebüsst.

1729

im Mai wird R.B. wegen mehrmaliger Hurerei und Ehebruch den kleinen Gang geschwungen und mit 101 Gulden gebüsst.

1733

im Mai büsst J.S. seine Diebereien mit dem Staupenschlag und 80 Pfd. Den. Busse.

1735

am 2.Dez. wird der Mitwisser vom Kirchendiebstahl in Trogen, M.S., mit dem Schwert hingerichtet.

1747

U.B. wurde wegen Einbruch in das Schulhaus und Diebstahl neben den Scharfrichter gestellt, getrüllt und 50 Pfd. Den. gestraft.

1751

B.H., der einen Hauspless (Hund) gestohlen hatte, wurde als Bleichdieb enthauptet.

Stadtschreiber Zörnli aus St. Gallen hatte als Ankläger das Todesurteil verlangt. Diesen traf 1762 dasselbe Schicksal  wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder in St. Gallen.

1753

wurde D.R. wegen Betrug und Diebereien unter den Pranger neben den Scharfrichter gestellt und 30 Gulden gebüsst.

1761

am 25.Juli musste sich E.S ihr Urteil wegen Hurerei anhören und hatte dafür 50 Gulden zu bezahlen.

1762

J.K wurde wegen Versuch zur Falschmünzerei auf den Pranger gestellt und mit 60 Gulden gebüsst. Es wurde ihm zudem der Genuss von Wein und Most verboten.

1769

am 6. August hatte E.K. für 18 Diebstähle unter dem Pranger zu stehen und 30 Pfd. Den. Bussgeld zu zahlen.

1781

am Sonntag, 28. Februar, starb plötzlich  D. Z’ s Frau. Das Gerücht ging um, dass der Mann sie ermordet habe. Er wurde sofort verhaftet und gestand, um 10 Uhr einen Wortwechsel mit ihr gehabt und mit der Faust gegen sie geschlagen zu haben. Er habe sie aber nur gestreift. Auch die amtliche Untersuchung konnte keine Zeichen von Gewalttätigkeiten finden. Es wurde angenommen, dass der Tod eher eine Folge von „heftiger Aufwallung des Blutes durch Zorn und Schrecken“ eingetreten sei und sie einen „Steckfluss“ bekommen habe. Die Frau hatte schon früher zur Zeit der Menstruation über „Bangigkeit“ geklagt. Aus dem Verhör mit dem Ehemann ergab sich zudem, dass die Frau in seine Stube gesprungen sei, dort aber nur noch habe sagen können: „Ach, betet doch, ich muss sterben!“ . In einem Zeitraum von einer halben Stunde sei sie, etwas vor 11 Uhr, gestorben.

Ein ähnlicher Fall ereignete in Walzenhausen, wo ein Bauer sein Kind so heftig zu Boden warf, dass es wenige Tage darauf, unter grossen Schmerzen, starb. Der Bauer wurde darauf mit Ruten geschwungen und es wurde ihm im ganzen Land verboten, Most und Wein zu trinken.  Das Gericht war von diesem Richterspruch beeinflusst und verurteilte Z. deshalb schärfer. Z. wurde auf den Pranger gestellt  und durfte vor der Sitter in keinem Wirtshaus mehr Wein und Most trinken und musste eine Busse von 40 Gulden bezahlen.

1792

wurde J.E. wegen Diebstahl und andauernd wiederholtem Ehebruch hingerichtet.

1794

am 10. Februar wurde J.L. wegen 28 Diebstählen den langen Gang mit Ruten geschwungen, auf den Pranger gestellt, mit 101 Gulden bestraft. Zudem wurde ihm Wein und Most verboten. Er hatte meistens Kupferkessel aus den Waschhäusern gestohlen.

1797

am 8.Januar wurde J.G. wegen 19 Diebstählen und Einbrüchen auf den Pranger gestellt, mit 90 Gulden gestraft und auch ihm Wein und Most verboten.

 

 

In Speicher mussten in den Jahren zwischen 1621 und 1798 15 Personen malefizisch abgestraft werden, wovon 6 mit dem Schwert.

 

1805

am 9. Mai wurde B.K. wegen Blutschande mit seiner Tochter mit der Rute geschwungen, mit 101 Gulden gestraft und es wurde ab den Kanzeln verkündet, dass ihm Wein und Most verboten seien.

Seine 16 - jährige Tochter wurde mit der Rute in der Hand unter den Pranger gestellt und dann durch den Gemeindevorstand für 6 Jahre unter Aufsicht gestellt.

1806

am 6.Februar büsste der 22 - jährige U. Sch. seinen Diebstahl von 2 Mousselinstücken mit Pranger, Ausschwingung und 30 Gulden Geld.

1816

am 25. April wurde A.K.W. wegen 11 Diebstählen neben den Geleitsboten gestellt, getrüllt, zur Bezahlung von 20 Gulden an die Unkosten verurteilt und der Vorsteherschaft ihrer Gemeinde zur Aufsicht übergeben.

1817

am 26.Juni wurde K. wegen Teilnahme an 6 Diebstählen neben den Geleitsboten gestellt, getrüllt, den kurzen Gang ausgeschwungen und zu 15 Gulden Busse verurteilt.

1817

am 27. April musste M.G. wegen Viehdiebstahls unter den Pranger stehen und die Ausstäupung durch den langen Gang ertragen. Neben dem Verbot von Most und Wein musste er 40 Gulden Busse bezahlen.

1817

am 27. April musste J. Sch. wegen Einbruch und Diebstahl mit der Rute in der Hand unter dem Pranger stehen.

Am gleichen Tag musste einer, der mit seinem 13 - jährigen Sohn eine Mitwisserschaft über einen Viehdiebstahl hatte, neben den Scharfrichter stehen und 15 Gulden bezahlen.

1818

am 21. April wurde M.L. wegen 22 Einbrüchen auf den Pranger gestellt, den langen Gang ausgeschwungen und mit 101 Gulden gestraft. Auch ihm wurde Wein und Most verboten.

1822

am 21. Nov. wurde die Magd Franziska Haug von Zell am Untersee wegen Verdacht auf Brandstiftung im Bäckerhaus in der oberen Schwende und wegen Diebstahls verurteilt. Sie wurde unter den Pranger gestellt, den langen Gang ausgeschwungen, gebrandmarkt, des Landes verwiesen und mit 101 Gulden gestraft.

1823

am 18. Juni wurden ein Mann und dessen Frau wegen einer Entwendung aus der Erbmasse mit der Rute in der Hand unter den Pranger gestellt und mit 30 Gulden gebüsst.

1830

J.E. wurde wegen 18 Diebstählen, worunter auch Bleichediebstahl, auf den Pranger gestellt, den langen Gang geschwungen und ihm Most und Wein verboten.

1840

Ein in Speicher wohnender Mann aus Stein wurde wegen Ehebruchs und der Aussetzung eines Kindes unter den Pranger gestellt, den kurzen Gang geschwungen und zur Bezahlung von 83 Gulden 22 Kreuzer verurteilt. Eine Urnäscherin, welche sich an der an der Aussetzung beteiligt hatte, wurde deswegen und wegen halben Ehebruchs und Veruntreuung mit der Rute in der Hand unter den Pranger gestellt.

1847

Ein in Trogen wohnender Wirt aus Speicher wurde wegen gewerbsmässiger Unzucht verurteilt. Er erhielt die Rute in die Hand, 4 Wochen Gefängnis, 20 Stockhiebe und wurde unter die Aufsicht der Vorsteherschaft seiner Gemeinde gestellt. Zudem musste er 200 Gulden Strafe und die Prozesskosten, welche sich auf 18 Gulden 40 Kreuzer beliefen, bezahlen. Seine Frau erhielt die Rute in die Hand, 8 Wochen Gefängnis, 20 Rutenstreiche und musste 100 Gulden Busse zahlen. Von den Freiern kam keiner zum Vorschein.

1847

Ein Landesangestellter aus Speicher wurde wegen Betrugs und Amtsuntreue den kurzen Gang geschwungen und zur Bezahlung der Unkosten von 43 Gulden 30 Kreuzer verurteilt.