Der Gesang wurde stets zur
Erbauung des Volkes benutzt und bildete demnach schon immer einen Teil des
öffentlichen Gottesdienstes. Vor der Reformation waren es hauptsächlich Geistliche
und einige besonders dazu gebildete Chorsänger, welche lateinische Texte
sangen. Das Volk hörte nur zu. Mit der Reformation versuchte man aber den
Gesang mehr zum Allgemeingut des Volkes zu machen, indem man es die Lieder
selbst singen liess und den Melodien deutsche Texte unterlegte. Den Stoff
dazu bildeten die Psalmen Davids. In der Kirche in St. Gallen sangen am 8.
Herbstmonat 1527 Kinder zum ersten Mal den Psalm 130: „Aus tiefer Not schrei
ich zu dir“. 1533 bat Dominikus Zyli den Rat um die Erlaubnis, zehn Psalmen
Davids und drei andere aus dem neuen Testament abdrucken zu dürfen.
Im Appenzellerland wurde der
Kirchengesang 1597 in Herisau eingeführt. Da dies nur auf freiwilliger Basis
passierte, forderte die Synode die Einführung des Gesangs in allen Kirchen.
Obwohl wir in Speicher die ersten Spuren vom Kirchengesang erst 1675 finden,
ist es aber doch wahrscheinlich, dass er auch schon vorher praktiziert wurde,
weil ihn die Synode ja schon früher empfohlen hatte. Im Kirchenbuch findet
man nämlich eine Zeile: „dem Singer
zahlt 16 Gulden 46 Kreuzer“, was sich vermutlich auf den Lehrlohn bezog.
Im weiteren war Pfarrer Knupp, welcher damals Dekan und Pfarrer in Herisau
war und der sowohl beim Beschluss der Synode, als auch bei der Einführung des
Gesanges in seiner Kirche kräftig mitwirkte, gewiss auch bei seiner kurzen
Seelsorge in Speicher vom Kirchengesang voreingenommen. Um diesen zu fördern,
erhielten die Sänger seit 1723 die besten Plätze in der Kirche und in den
Schulen ordnete man Proben der Psalmen oder Lieder an. Als Gesangsstoff verwendete man über 1 ½ Jahrhundert
lang die „Lobwasserschen“ Psalmen. Als aber durch die hiesigen Gesangsvereine
die Liederbücher von Bachofen, Schmiedli, Egli und auch das neue Zürcher
Gesangbuch verwendet wurden, entstand
der Wunsch, die geistlos verstümmelten Gesänge Davids durch ein besseres
Gesangbuch auszutauschen.
Nachdem das Zürcher
Gesangbuch schon während 12 Jahren für Gesangsübungen verwendet worden war,
fand Pfarrer Zuberbühler den Zeitpunkt für einen Wechsel reif, damit das
Gesangbuch offiziell beim öffentlichen Gottesdienst gebraucht werden konnte.
Die meisten reformierten Kantone und viele Gemeinden unseres Landes hatten
schon länger den „Lobwasser“ abgeschafft, weil sie der Empfehlung der Synode
und Regierung gefolgt waren. Pfarrer Zuberbühler versuchte deshalb einige
neue Lieder aus dem neuen Gesangbuch in der Kinderlehre singen zu lassen.
Aber schon nach ein paar wenigen Versuchen schmiedeten 1820 einige für das
„Alte“ eingenommene Gemeindegenossen Pläne zur Untergrabung des rühmlichen
Vorhabens. Trotzdem erreichten die Freunde des neuen Gesangbuches ihr Ziel,
indem Amt-, Hauptleute und Räte beschlossen, den Gesang der neuen Lieder und
Psalmen an den Sonntagnachmittagen fortzusetzen. Drei Monate lang wurde
ungestört geübt. Eine grössere Anzahl von Gesangbüchern waren zu ungefähr der
Hälfte des Ankaufpreises von 24 Kreuzer an die Sänger verkauft worden,
weitere 125 Exemplare wurden gratis an die Armen verteilt worden, als sich
ein Gewitter über dem Gesangshimmel zusammenbraute. An der letzten
Ratssitzung vor der Hauptmannsgemeinde eröffnete Statthalter Schläpfer der
Versammlung die Nachricht, dass von vielen Bauern das Ansuchen an ihn
gestellt worden sei, die Annahme des neuen Gesangbuches vor die Kirchhöre zu
bringen. Die Vorsteherschaft sah sich nun genötigt, die Benutzung des neuen
Gesangbuches zu verbieten, denn sie wollte die gute Sache nicht aufs Spiel
setzen. Bis zum 21. September blieb in dieser Angelegenheit alles ruhig.
Nachdem bei Hausbesuchen die Stimmung über die Gesangbuchsache erforscht
worden war, brachten Major Rüsch, Johannes Scherer und Alt- Landesfähnrich
Tobler im Namen mehrerer Gemeindegenossen und Beisassen ihr Ansuchen an den
Gemeinderat, man möchte doch das neue Gesangbuch am Sonntagnachmittag zum
Gottesdienst benutzen. Um zu erfahren, wie die Leute auf die Einführung des
neuen Gesangbuches reagieren würden, sollte man auch eine Umfrage machen. Da der Gemeinderat auf dieses Ansinnen nicht
reagierte, reichten Major Rüsch, Johannes Scherer und Konrad Eugster am 28.
September eine Bittschrift ein, worin das Gleiche noch einmal verlangt wurde.
Obwohl der Rat die Umfrage auf unbestimmte Zeit verschob, wurde den
Schulmeistern und dem Vorsänger befohlen, die Kinder abwechselnd in beiden
Gesangbüchern zu üben. Am 30. November erschienen etwa 60 der angesehensten
Gemeindegenossen vor dem Rat und verlangten eine baldige Umfrage, welchem nun
endlich entsprochen wurde. Am 6. Dezember stellten aber auch zwei Feinde des
neuen Gesangbuches, Johann Ulrich Hörler im Bühel und Johannes Sturzenegger
im Flecken die Forderung nach einer Kirchhöre. Statthalter Schläpfer brachte
es fertig, den Rat am letzten Sonntag vor der Martini Kirchhöre
zusammenzurufen und den Beschluss vom 30. November umzustossen und die Umfrage
fallen zu lassen. Stattdessen wurde nun eine spezielle Kirchhöre angeordnet.
Am 9. Dezember verkündete der regierende Hauptmann Schläpfer, dass auf den
nächsten Sonntag nach dem Vormittagsgottesdienst eine Kirchhöre angesetzt
worden sei und an der die Frage gestellt werde, ob man das Zürcher Gesangbuch
für den Sonntagnachmittag annehmen wolle oder nicht. Die Feinde des neuen
Gesangbuches wollten sich der Ablehnung sicher sein und verlangten, es müsste
an der Kirchhöre über die Frage abgestimmt werden, ob man das Zürcher
Gesangbuch für den Sonntagvormittag und Nachmittag und auch in den Schulen
einführen wolle oder nicht. Ihr Versuch scheiterte an der Einsicht und
Standhaftigkeit der zwei höchsten Standeshäupter und des regierenden
Hauptmannes. Nun trugen die Gegner durch Statthalter Schläpfer
Vermittlungsvorschläge vor, welche die Befürworter vor kurzer Zeit sicher
noch angenommen hätten. Weil sie sich in ihrer Sachen sicher fühlten, wollten
sie nichts mehr davon wissen, aber sie täuschten sich gewaltig. An der am 16.
Dezember 1821 bei herrlichem Wetter gehaltenen Kirchhöre strömte eine
ausserordentliche Zahl Speicherer herbei, welche zum Teil auch in anderen
Gemeinde wohnhaft waren, um das neue Gesangbuch verwerfen zu helfen. Diesem
Umstand und den Worten von Statthalter Schläpfer, welcher seine ganze
Beredsamkeit zu Gunsten des alten Gesangbuches einsetzte, war es zu
verdanken, dass die Einführung des Zürcher Gesangbuches, wenn auch nur knapp,
verworfen wurde. Somit war klar, dass das neue Liedgut einstweilen nicht
erwünscht war. Aber am Ende triumphiert doch immer das Gute und so war ein
Jahrzehnt später der Sieg des „Fortschrittes“ über das „Alte“ Tatsache
geworden.
Am Weihnachtstage 1832 wurde
der neue Vorsänger vom Pfarrer beauftragt, dem Volk anzukündigen, dass
während der Kommunion aus dem Zürcher Gesangbuch das Lied gesungen werde: „Dies ist der Tag, den Gott gemacht“.
Die Ankündigung wurde mit Freude aufgenommen. Der harmonische Gesang wirkte wie
ein Zauberschlag auf die Gemüter und
beflügelte den Wunsch, das Zürcher Gesangbuch endlich offiziell einzuführen.
Von allen Seiten aufgefordert beschloss ein Gesangsverein am 8. Januar, einen
neuen Versuch dafür zu wagen, mit der Bedingung, dass ihr die
Sonnengesellschaft beistehe und Unterstützung zusichere. Da die
Sonnengesellschaft aber noch keine vollständige Kenntnis vom Vorhaben der
Geistlichen hatte, fühlte sie sich in Verlegenheit. Sie wollte nicht
behindernd wirken und hatte den Wunsch, den schönen Einsatz für das Zürcher Gesangbuch
zu ehren. Da die Meinung vorhanden war, dass die Geistlichen noch mit der
Einführung der zu wenig volkstümlichen nägelischen Choräle liebäugelten,
sagte die Sonnengesellschaft ihre Unterstützung zu. Nachdem bereits 70 Gulden
für die Anschaffung von Gesangbüchern gesammelt und die Vorsteherschaft um Unterstützung
gefragt worden waren, begaben sich 12 Sänger, je zu zweit, zu den Bewohnern
Speichers, um die Stimmung zu erforschen. Sie erhielten 351 Unterschriften
für das Zürcher Gesangbuch und die Zusicherung der meisten Leute, welche
nicht unterschreiben wollten, dass sie der Einführung nicht im Weg stünden.
Von dieser Aktion erfuhren auch die Geistlichen und sie beeilten sich nun,
genauere Auskunft vom Vorhaben der Sänger zu erhalten und sie zur Einstellung
ihrer Aktion zu bewegen, wobei sich Pfarrer Zuberbühler zurückhielt und
keinen Anteil an ihrem Unternehmen hatte. Der Gemeinderat sah nun ein, dass
nicht verschiedene Gesangbücher im Land verwendet werden sollten. Andererseits
erkannte er den Unmut des Volkes, welche in jeder Verschiebung ein neues
Hindernis des längst gehegten Wunsches vermutete. Er beschloss daher am 25.
Januar 1833 einstimmig, “es solle am
10. Februar eine Kirchhöre gehalten und derselben sowohl die Gründe der
Sängergesellschaft zur Einführung des Zürcher Gesangbuches, als auch die der
Herren Geistlichen für Verschieben der Sache bekannt gemacht werden“.
Das Volk strömte am
entscheidenden Tag zahlreich zur Kirche und hörte sich die Predigt über die Worte
Paulus an: “ Prüfet Alles und das Beste
behaltet“. Darin wurde die Annahme des Zürcher Gesangbuches empfohlen,
obwohl sich der regierende Hauptmann für die Sache der Geistlichen einsetzte.
Nun entschied sich das Volk fast einstimmig für das Zürcher Gesangbuch und
nur etwa 20 Hände erhoben sich für die Beibehaltung des „Alten“. Wider
Erwarten schnell wurde 1834 die
vollendete Sammlung von den Geistlichen in allen übrigen Kirchgemeinden
unseres Landes angenommen. Endlich konnte Speicher nach 14 bewegenden Jahren
in den Kreis der Gemeinden, welche das appenzellische Gesangbuch benutzten,
aufgenommen werden. Dieses appenzellische Gesangbuch wurde am 21. Oktober
1849 auf wiederholte Anregung durch Gemeindehauptmann Tanner von einer
Kirchhöre angenommen, auf den 7. April 1850 eingeführt und das erste Mal in
der Kirche gesungen.
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