IV.
Kirchenangelegenheiten
Nötiger noch ist es, einen Ort durch Religion, als selbst durch Mauern zu befestigten
                                                                                                                                     Cicero
Einleitung

 

Wir haben nun die politische Geschichte unserer Gemeinde kennen gelernt und dabei erfahren, welche Erlebnisse auch ein kleines Gemeinwesen machen kann und wie der Parteigeist dem Einzelnen, wie dem Ganzen Unglück bringt. Wir haben aber auch gesehen, wie die Gerechtigkeit und ein gerader Sinn, auch wenn dies öfter verkannt wird,  wieder Anerkennung finden, weil sie eben doch die mächtigen Grundpfeiler eines Gemeinwesens sind. Die Geschichte hat auch gezeigt, dass kein Übel so gross ist, dass man sich daraus nicht auch gute Folgen erhoffen kann.

Da sich die junge Gemeinde Speicher wegen der schlechten Verwaltung ihrer Güter schon 1659 in einem heftigen Streit verwickelt sah, waren viele Bürger entmutigt. Aber gerade dieser Kampf führte zu Verordnungen, welche sich auf die Wohlfahrt und Entwicklung Speichers ungemein günstig auswirkten. Eine dieser Verordnungen betraf die Öffentlichkeit der Rechnungen. Durch den Zwang der Offenlegung in der Gemeinderechnung sieht sich eine Vorsteherschaft nicht nur in Bezug auf die Verwaltung ihrer Gemeindegüter zur strengsten Gewissenhaftigkeit genötigt, sondern muss sich fast zwangsmässig mit aller Kraft für das Wohl des Ganzen einsetzen und darf sich nicht herrisch dem Eigenwillen und Eigennutz hingeben. Durch dieses Pflichtgefühl geleitet, entspringen ihre Beschlüsse und Anordnungen und verschaffen ihnen schlussendlich das nötige Zutrauen der Bürger. Wo gegenseitiges Zutrauen herrscht, gedeiht auch brüderliches Wohlwollen, diese schönste Blume im blühenden Garten eines Gemeinwesens. Viele wohltätige Anstalten verdanken ihre Entstehung dem gegenseitigen Vertrauen und auch das, was wir Rühmliches von Speicher berichten konnten, verdanken wir grösstenteils dem vorhandenen Gemeinschaftssinn, welcher auf dem Nährboden des Christentums wurzelt. Dieses zarte Pflänzchen zu pflegen, damit es nicht verkümmert, ist und bleibt daher die Aufgabe eines jeden Gemeinwesens.

„Es ist also eine wichtige Aufgabe des Geschichteschreibers einer Gemeinde zu zeigen, was diese für die Pflege des Christentums in ihrer Mitte getan hat und noch tut.“

 

So lasst uns denn von dieser Kirchengeschichte Speichers hören.

„Wann die ersten Strahlen der alles erleuchtenden Christuslehre zuerst in die Finsternis, welche diese Gegend einst beherrschte, hereingebrochen sind, wissen wir nicht.“

 

Vielleicht mag das Christentum mit Jenen eingedrungen sein, welche als Erste die Axt an die Bäume der damals düsteren Wälder gelegt hatten, um das Land urbar zu machen und sich hier niederzulassen. Auch das Steinachtal war zu der Zeit, als der Heilige Gallus seine Zelte aufgeschlagen hatte, um dem ansässigen Volk die christliche Freudenbotschaft zu verkünden, ein Ort der Wildnis.

Die ersten, auf Urkunden gegründeten Nachrichten sind die, dass Speicher zur Pfarrei St. Laurenzen in St. Gallen gehörte. In Speicher muss sich schon früh eine Kapelle befunden haben, denn in einer Urkunde vom 12. Dezember 1472 bewilligten drei Kardinäle auf die Fürbitte der Klosterfrau Gertrud Haczerin einen Ablass, damit die Kapelle ausgebessert, Bücher angeschafft und Becher sowie andere kirchliche Gegenständen beschafft werden konnten. Dieser Ablasshandel versprach allen Gläubigen, dass ihnen hundert Tage von den auferlegten Bussen nachgelassen sein sollten, wenn sie wahre Reue fühlten, gebeichtet hätten und an den Festen Maria Himmelfahrt, Geburt Johannes des Täufers, der heiligen Maria Magdalena und des heiligen Antonius jeweils von der ersten bis zur zweiten Vesper in der Kirche verweilen würden.

Von dieser Kapelle findet sich aber in der weiteren Geschichte keine Spur mehr. Wäre es nicht möglich, dass die schon früher genannte Klause und diese Kapelle eine Verbindung zu einander gehabt haben?

 

In jenem Jahr wurde ein Streit, den Speicher mit St. Gallen wegen seiner Pflichten und Rechten mit St. Laurenzen  hatte, durch einen Vertrag dahin geregelt, dass Speicher den völlig gleichen Rechten und Lasten unterworfen sein sollte, wie die Bürger von St. Gallen.

Von 1449 - 1463 gründete Trogen, welches früher zum grössten Teil ebenfalls nach St. Laurenzen kirchengenössig war, eine eigene Pfarrei. Dazu gehörte auch derjenige Teil Speichers, welcher vor dem Brandbach lag, der andere Teil gehörte weiterhin zu St. Laurenzen. Sowohl in Trogen, als auch in St. Gallen fand der Geist einer durchgreifenden Kirchenreform, welcher zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Länder Europas durchzog, schon früh Anhänger. Auch die Bewohner Speichers standen bald auf der Seite der Freunde der Reformation. In Trogen war es Pelagius am Stein, der seit 1522 die Reformation vorantrieb. Während sich in Speicher, wie an den meisten anderen Orten, die Veränderung durch den Pfarrer ausbreitete, waren es in St. Gallen zur Hauptsache Laien, die den ersten Anstoss zu einer Umgestaltung der Kirche gaben. An der Tagsatzung baten daher neun Kantone den Gesandten der Stadt:

 nit ferner ungewicht Lüt und Buben predigen zu lassen, sondern Prediger dahin zu tun, denen solches zustand, damit Ruh und Guts und nit als bisher geschehen ist, mer args darus erwachse, Ihnen die nün Orte lieber lassen sin, dann sollich Buben und Winkelprediger, dann es witer nit mög erlitten werden.“

 

Weil die Kirche aber für ihre Zusammenkünfte nicht benutzt werden durfte und der Zulauf des Volkes sehr gross war, musste oft auf dem freien Feld gelehrt werden und als die Witterung zu rau wurde, fand die Vorlesung in der völlig überfüllten Metzgerei satt. Nun beschloss das Volk, vor den Rat zu treten und zu verlangen, dass die Kirche auch für ihre Versammlungen geöffnet würde, was dann auch geschah. Am 2. Februar 1524 wurde dann die erste Vorlesung in der Kirche gehalten. Durch diese Vorlesungen und eine Predigt von Leo Judä auf der Rückreise von Appenzell nach Zürich gewann die Reformation immer mehr Freunde und ging Schritt für Schritt vorwärts. Am 5. April 1524 erliess der Rat ein Mandat, in dem er alles Lästern verbot und befahl, dass von der Kanzel herab nichts gepredigt werden dürfe, was das Evangelium verleugnen würde und was nicht mit dem Wort Gottes bewiesen werden könnte. Bald darauf wurden über Nacht die Bilder aus der St. Laurenzenkirche entfernt. 1525 wurden in St. Laurenzen und St. Mangen keine Metten mehr gesungen, keine Fastenzeit mehr geboten und auch zu Ostern legte man den Leichnam des Herrn nicht mehr ins Grab. Weitere Zeremonien wurden abgeschafft und in der Kreuzwoche fand keine Messe mehr statt. Wolfgang Warterer, genannt Juflie, war der erste, der davon absah. Ihm folgte, durch einen Ungenannten gemahnt, Benedikt Burgauer, Pfarrer zu St. Laurenzen. Am 22. Mai setzte ein ehrsamer Rat eine aus den beiden Pfarrherren von St. Laurenzen und St. Mangen bestehende Kommission ein, der auch 2 Mitgliedern des Rates, Joachim und Jörg von Watt angehörten, um eine neue Kirchenordnung zu entwerfen. Über den ersten Artikel dieser Ordnung, welcher die Lehre vom Abendmahl beinhaltete, wurden sie wegen der Worte „ist“ und „bedeutet“ nicht einig. Im Übrigen erkannten sie:

 

2.

Es solle nichts gelehrt werden, als was mit Gotteswort alten und neuen Testamentes übereinstimme.

3.

Anstatt der Vesper soll aus dem alten Testamente vorgelesen und das Vorgelesene erklärt werden vom Anfang bis zu den Propheten.

4.

Es sollen alle Wochen 3 Wochenpredigten gehalten werden, denen, wie auch am Sonntag, Texte aus dem neuen Testamente unterlegt werden.

5.

Anstatt des Singens und Lesens in lateinischer Sprache sollen Psalmen vorgelesen werden.

6.

Wurden Kirchensteuern für die Armen angeordnet.

7.

Während der Einsammlung dieser Steuer sollen 1 oder 2 Psalmen gelesen und dieselben kurz erklärt und erst hierauf geläutet werden und die Predigt beginnen, und endlich

8.

wurden die einzuführenden Gebete, die mit einem allgemeinen Sündenbekenntnissen begannen, vorgeschrieben.

 

1526 wurden einige Eherichter ernannt, die Feiertage vermindert und die Bilder aus den Kirchen entfernt.

1527 wurde die Feier des heiligen Abendmahls von der Regierung zugeordnet wobei dieses am Ostertag zum ersten Mal nach evangelischer Weise genossen wurde. So weit die Geschichte der Reformation in St. Gallen. In der Zwischenzeit ging der Umschwung auch in Trogen, wo der andere Teil der Bewohner Speichers pfarrgenössig war, unter Amstein ebenfalls schnell voran.

Nach der Reformation war Speicher noch die einzige appenzellische Gemeinde, welche an St. Laurenzen gebunden war. Eine Übereinkunft der Stadt, welche den Kirchhof bei St. Laurenzen als Begräbnisplatz eingehen liess, war dann die Veranlassung zu einem Streit zwischen den zwei Gemeinwesen. Sie wählte sich nun ein Stück Boden in der Nähe der St. Magnuskirche zum neuen Friedhof, wollte aber nicht gestatten, dass auch Speicher seine Toten dort beerdigen konnte. Speicher sollte ihre Leichname auf dem Gottesacker in Trogen bestatten. Nachdem Speicher vergeblich den Rat in St. Gallen um Bewilligung bat, den neuen Friedhof mitbenutzen zu dürfen, da ihnen sonst niemand eine Begräbnisstätte bewilligen wollte, verwendete sich auch unsere Regierung für ihre Angehörigen, blieb aber lange ohne Erfolg. Am 25. Herbstmonat 1570 beschloss der Rat von St. Gallen endlich:

“für die Bewohner des Brühls von Mühleck und Sägen eine neue Begräbnisstätte am Linsenbühl zu bauen, und dieselbe auch der Gemeinde Speicher zu öffnen, wenn sie helfen werde den Pfarrer, den Messmer und den Totengräber zu besolden“.

 

Nun verlangte Speicher einen Kostenvoranschlag, nach welchem am 28. Heumonat 1572 nach langen Verhandlungen ein Vertrag zu Stande kam, in dem Speicher in der St. Laurenzenkirche das Recht zu allen gottesdienstlichen Handlungen und am Linsenbühl zur Beerdigung seiner Toten erhalten würde. Im Gegenzug sollte die Gemeinde dem Pfarrer 7 Pfennig, dem Messmer die bestimmten Gebühren (bei Taufen und für das Läuten) und dem Totengräber bei einer Beerdigung 30 Kreuzer bezahlen. Zudem müsste Speicher im Verhältnis zur Bevölkerung und des Vermögens für den Unterhalt der Kirchen und der Glocken aufkommen.

Als die Regierung 1603 die Kirche im Linsenbühl ausbessern und erweitern liess, wurde Speicher noch im gleichen Jahre von St. Laurenzen ausgelöst und im Linsebühl pfarrgenössig. Zehn Jahre später liess sich Speicher auch im Linsebühl für 1300 Gulden auslösen, weil man beschlossen hatte, eine eigene Pfarrkirche zu bauen.