Kirchenrechnung und Kirchengutsstreit von 1659

 

Uneinigkeit unter Gemeindebürgern kann zu Streit führen und betrübt die Herzen. Einen solchen Streit, welcher schlussendlich doch noch wohltätige Folgen hatte, weil er zur Offenlegung der Rechnungen und überhaupt zu einer besseren und geordneten Gemeindegüterverwaltung führte, möchten wir hier nicht unbeachtet lassen.

Die Bewohner von Speicher hatten zum Bau der ersten Kirche im Jahre 1614 insgesamt 1727 Gulden an Geld und 160 Pfennig Schillinggeld zusammengesteuert. Die Hofstatt und das Dach wurden von einzelnen Personen an die Gemeinde geschenkt. Zudem spendeten Wohltäter von ausserhalb der Gemeinde über 3500 Gulden. Die Kosten für die Kirche samt Turm und Glocken betrugen etwa 3200 Gulden. Was der Kirchen- und Pfarrhausbau von den über 5200 Gulden übrig liess, wurde wahrscheinlich zur Besoldung des Pfarrers verwendet. Zudem wurde 1630  zum gleichen Zweck weitere 1533 Gulden zusammengesteuert. Am  24. Nov. 1635 betrug die ganze Summe des Kirchengutes immerhin 4302 Gulden. Schlechte Bewirtschaftung dieses Vermögens hatte aber bald einen bedeutenden Rückschlag zur Folge. Eine eigenmächtig veranlasste Steuer einiger Vorsteher führte schlussendlich zu einem hitzigen Streit. Die Verantwortlichen wurden schlussendlich angeklagt.

Nachfolgend sind Klage, Verantwortlichkeit und Urteil aufgezeichnet, Originaltexte sind kursiv geschrieben.

 

Klage:

Hauptmann Michel Schmidli bringt im Namen der  Kirchgenossen von Speicher folgende Klage vor:

1.

Anfangs Sommer haben Hptm. Schwendimann sel., Hptm. Uli Koller, Hptm. Hs. Tanner und Jung Jakob Schwendimann eine Steuer angelegt, damit man den neuen Ofen im Pfarrhaus und das halbe Dach auf der Kirche zahlen könne. Dies wurde aber weder den übrigen Räten noch den gemeinen Kirchgenossen mitgeteilt.

2.

Sie habend gemeint, man sollte nit Steuern, man hätte sonst Kilchengut auf  5 Gulden Pfrundgeld alle Wochen, dann vor etwas Jahren, da man die gross Steuer angelegt, haben sie 4 Gulden Pfrundgeld gehabt, Item Hr. Spiller habe sich klagt, habe viel zu kleine Pfrund, habe aber 4 Gulden Bit man ihm etwas mehres geben, da hab man ihm noch 1 Gulden dazu geschossen, und wöchentlich 5 Gulden geben bis auf Sondereggens Fall. (Ein Selbstmörder, dessen Vermögen dem Fiskus zufiel)

Da haben meine Herren Ihnen 932 Gulden 46 Kreuzer von selbigem Gut gegeben, habend hiermit die 5 Gulden wöchentlich voll gehabt, Item in allem seit der grossen Steuer an die Kirchen gefallen 1700 Gulden mehr 12 Gulden 46 Kreuzer; das haben sie jetzt zu wenig, und eben wieder die 4 Gulden wie auf die grosse Steuer. Es wundere sie, wo die 1700 Gulden hingekommen seien?

 

Es folgt nun die Gegenpartei

 

Verantwortlichkeit:

Hauptmann Hans Tanner sagte, wenn man an der Rechnung dem Schwendimann, welcher am 7.Januar 1659 gestorben war und nach dessen Tod der Hinterschlag erst zum Vorschein kam, vorgeworfen habe, er mache es nicht recht, habe dieser geantwortet: „Er frage niemand, denn er mache es so, wie er es selbst wolle“!

Hauptmann Michel Schmidli und seine Mithaften sind zudem geständig, dass sie vor 7 Jahren eine Pfrund von 5 Gulden gehabt hätten.

Item fragend sie die Spycherlüt, sie suchends bei denen 4en, die das Kilchengut unter Händen gehabt, und mit selbigem umgegangen sein. (Hptm. Schwendimann sel., Hptm. Uli Koller, Pauli Gschwend und Jung Jakob Schwendimann).

Hptm. Uli Koller fragte, was er drum und dran gsin, bei den Kilchenrechnungen, so viel ihm im Wissen gesichtig und richtig zugegangen. Item Er soviel er Rechnung zu geben gehabt hat, habe er es gemacht, wie ein Ehrlicher und redlicher Biedermann.

Item Jung Jakob Schwendimann sagt, hab nie nüt ausgehn und nüt ingnon. Ob er wohl etliche Jahr geschrieben, hab er geschrieben und gehandelt, wie ein ehrlicher Biedermann.

Am 11. April 1659 fand man im Kirchenbuch den Eintrag, dass im Jahr 1646 ungefähr 192 Gulden Zins an Schillingsgeld und Geldschulden bezahlt wurden.

 

Die in Gais versammelte Kommission, welche von Neu- und Alträten ernannte worden war, gab folgendes Urteil:

 

Spruch:

wegen Hinterschlag des Kirchengutes in Speicher.

Zu wissen und Kund seye getan Männiglichen offenbar hiemit. Als sich dann etwas Differenz, Misshell und Streitigkeit erhoben und zugetragen, Entzwischend denen Frommen, Ehrsamen und Weisen Hauptleut und Räten samt Einer ganzen Kirchhöri und Gemeinde zum Speicher an Einem. Sodann den Frommen, Ehrsamen und Weisen Hs. Jakob Schwendimann sel., Hauptmann Hans Tanner, Hs. Uli Koller und Jung Jakob Schwendimann auch Kilchgenossen daselbst am anderen Teil.

Und wegen ihres Kilchen- und Pfrundgutes aldorten willen sich selbiges und vermindert und geschwunden, da dann eine Kilchhöri ernannt Personen, welche meistenteils bey den Kilchenrechnungen gesessen, Bezigen sam sie nicht recht mit dem Kilchegut umgegangen. Und etwas davon veruntreut haben. Dessen aber die andere Party keineswegs wollengeständig syn und deswegen sie beiderseits miteinander für kleine und grosse Räte kommen, ihre Klag, Antwurt, Red, wider Red nach Notdurft dargetan.

Da haben M.G.Herren und oberen Landammann und ein grosser Land Rat, Neu und Alt rat so verscheien mag zu Trogen bei einander versambt gewesen, Ihren rats Mitlen abgeordnet die Frommen, Ehrfesten, Fürsichtigen, Ehrsamen und Weisen, Hr. Ulrich Diezi und Hr. Polay Schläpfer, beid Statthalter, Hr. Ulrich Zähner, Seckelmeister, Hr. Hannes Tanner, Landesbaumeister, Hr. Conrad Künzler, Landesfähnrich, Hr. Haubtm. Johannes Tanner, Hr. Haubtm. Gally Schläpfer, Hr. Haubtm. Hans Altherr, Hr. Hauptm. Lorenz Holl, Hs. Jakob Landweibel und Hs. Schläpfer, Landschreiber. Mit Befehl und Gewalt ernannte Parteien wiederum zu vereinbaren und zu vergleichen und was sie sprechen werden, das solle sowohl kräftig und gültig sein, als wenn es der grosse zwenfache Landrat, Neu und Alt Rat selbst erkennt und gesprochen hätten. Darauf die angeregten Herren den 1. August im Namen Gottes auf Gais zusammen kommen, sie in ihren gegen einander habenden Klägten, antworten, Red und wider red samt den Kundschaften nachmahlen angehört und verstanden, das Kilchenbuch Rodel und andere Schriften fleissig durchgegangen und übersehen, die Umstände und alles reiflich und wohl betrachtet, aber gleichwohl will die Sach ziemlich ohnlauter keine Mitel zu einem Rechtsspruch, viel weniger, das man etwas verohntreuet finden, aber wohl het man etwas sparsamer, fleissiger und häuslicher sein können.

Darauf in der Gütigkeit erkannt und gesprochen , Willen besagte Gemeind zum Speicher Pfrund wuchentlich 4 Gulden etwas weniger dazu, aber nebendhalb die anderen Ausgaben was sonsten auf eine Kilchhöri geht nicht hat, dass sie die Kilchgenossen zum Speicher, damit sie die anderen Ausgaben nebend dem Pfrundgeld so viel müglich auch aus den Zinsen bezahlen können, zusammensteuern sollen bemannlich ein tausend Gulden und jeglichen Kilchgenoss nach seinem Vermögen angelegt werden, an diese Steuer aber sollen die hernachfolgenden Personen, weil sie meistenteils bei den Kilchenrechnungen gesessen und dem gemeinen Mann nicht vorgeoffenbaret haben, dass das Kilchengut schweinen und abnehmen teuge geben und erstatten, nämlich:

Aus des Haubtm Schwendimanns sel. Verlassenschaft solle gegeben werden 150 Gulden, aber die 30 Gulden, so Haubtm. seelig bei seinen Lebzeiten an die Kilchen vermacht, auch darunter eingeschlossen sein.

Hauptm. Hans Tanner 50 Gulden, Hauptm. Ulli Koller 50 Gulden, Hauptm. Michel Schmidli 40 Gulden, Jung Jakob Schwendimann 25 Gulden, Pauly Gschwend 25 Gulden und Ulrich Rüsch 25 Gulden und hiemit dieses nit ein Straf sonder eine Steuer, heissen unsd seyn solle, das übrige aber bis sie die 1000 Gulden vollkommlich haben, solle wie gemeldet, nach der Billichkeit und Jedessen Vermögen auf die übrigen Kilchgenosssen zu steuern angelegt werden.

Iten auch alle diejenigen Scheltwort, so in dieser ganzen Action fürgelofen es trefe gleich Tote oder Lebendige an, sollen von obrigkeitswegen aufgehebt kraftlos Tod und abseyn und Niemanden seinen Ehren und habenden Glimpf weder schädlich noch nachteilig seyn, sie sollend auch solches zu ewigen Zeyten einander nicht aufheben, verwysen oder im Unguten gedenken. Den Hauptm. und Rat sollend sie, wie sie dismahlen haben verbleiben lassen, bis auf künftigen Frühling und hiemit der ganze Handel und was damit unterlofen im Namen Gottes ruhen und für ausgemachet  seyn und verbleiben lassen, wer  dawiter handelt der soll nach seinem verdienen anderen zum Exempel mit höchstem Ernst an Ehr und Guot abgestraft werden, darnach wüsse sich mäniglich zu verhalten.

Was aber dannethin die Kosten beklagen tut, solle dasjenige, was man kurz verwichener Zeit an die Kilchen und Pfarrhaus verbauen, von welches wegen man dermalen eine Steuer angelegt, aus dieser jetzigen Steuer entrichtet und bezahlt werden, und selbige Steuer, welche ohngefähr 60 Gulden gewesen, soll aufgehebt sein.

Item was Hr. Pfr. Spiller, da er von deswegen im Land gewesen für seyn Person allein kostet, solle man gleicher gestalten aus dieser Steuer bezahlen.

Aber, so ein Obrigkeit von dieses Handels wegen gehabt ist auf ihr wohlverhalten hin eingestelt und im übrigen ein jeder, was er für Kosten gehabt und ommengeloffen an ihm selbst haben und weder von dem Kilchengut noch von dieser Steuer an solche Kosten überall nichts gegeben werden.

Schliesslich betreffend die Personen, so sich für aus diesem Handel mit ohngereimten Worten vertieft, sind sie gestraft in gemeinen Landseckel wie folgt:

 

 

Hans Graf Debussen selig, Sohn ist gestraft

5

Schilling

 

 

Hans Grunholzer Peters Sohn   

8

Schilling

 

 

Hans Locher

8

Schilling

 

 

Baschly Lanker

6

Schilling

 

 

Marty Fässt

5

Schilling

 

 

Hans Graf Hauptmann, Schmidlis Tochtermann

8

Schilling

 

 

Andreas Schwendimann

3

Schilling

 

 

Andreas Locher

3

Schilling

 

 

Barbel Grafin Jageli, Schwendimanns Frau

5

Schilling

 

 

Jung Jakob Schwendimanns Tochter    

5

Schilling

 

 

Des Pfeiffers Frau

5

Schilling

 

 

Total

66

Schilling

 

 

Actum Gais den 2. August 1659

Der äusseren Rhoden des Landes Appenzell verordneter Landschreiber                           Hans Schläpfer

 

Laut Kirchhörebeschluss vom 7. Nov. 1658 mussten nun Hauptleute und Räte die Kirchen- und Armenrechnung an der Martinikirchhöre öffentlich durch den Pfarrer verlesen lassen. Darin war enthalten, wie viel Kapital vorhanden und ob nichts hinterschlagen wurde und wie viele Unkosten es das Jahr hindurch gegeben hatte.

An der darauf am 11. des Wintermonats 1659 gehaltenen Kirchenrechnung fanden sich plötzlich 2167 Gulden und 20 Kreuzer in der Kasse.