II.

Geschichte

 
Einleitung:

 

Ueberblick der Geschichte bis zur Stiftung der Pfarrkirche

 

Wir vermuten, dass die erste Besiedelung unseres Landes auf eine Schlacht im Jahr 496 zurückzuführen ist. In der Gegend des Appenzellerlandes sollen noch Wölfe und Bären gehaust haben, als der fränkische König Chlodwig das bis anhin herrschende Volk der Alemannen mit dem Sieg in der Schlacht bei Zülpich unterwarf.  In den folgenden 40 Jahren bemächtigten sich die Franken über ganz Helvetien. Anschliessend wechselten während 352 Jahren immer wieder die ihnen untergeordneten Beherrscher des Thurgaus, zu welchem als Teil des Arbonergaues auch das Appenzellerland gehörte. Es könnten deshalb auch Flüchtlinge aus dem Thurgau gewesen sein, welche unsere Gegend erstmals bevölkert und angebaut haben. Viele Jahre nach der ersten Besiedelung wurden auch die Strahlen des Evangeliums von Gallus Zelle her in unser Land getragen.

Als der Geist Kaiser Karl’s des Grossen mit seinen Enkeln gestorben war, teilte sich sein mächtiges Reich und die hiesigen Gegenden gehörten zu Deutschland. Sie waren entweder Eigentum einzelner Herren, des Stiftes St. Gallen oder vereinzelt freie Reichsländer. Diese aber wurden damals, wie auch andere Teile des Reiches, mehrmals von den Kaisern aus Geldnot verpfändet.

So verpfändete auch Kaiser Ludwig im Jahr 1331 die Vogteien Appenzell, Hundwil, Trogen, Teufen usw. an Ulrich von Königsegg. 14 Jahre später erlaubte der Kaiser dem Abt Hermann von Bonstetten, zu St. Gallen, die schon früher an Ulrich von Königsegg verpfändete, dann wieder eingelöste und an Albrecht von Werdenberg abgetretene Pfandschaft „Vogtei St. Gallen“ in gleicher Weise an sich zu ziehen, wie dies schon Abt Kuno in gleicher Weise erfolgreich getan hatte. Überhaupt breitete sich die Abtei St. Gallen in unserer Gegend immer weiter aus. So besass eine geistliche Gerichtsbarkeit die Rechtspflege über unser ganzes Land und über die überall im Lande zerstreut wohnenden Sonderleute. Diese waren somit eigentliche Untertanen des Klosters. Für sie existierte ein eigenes Amt, dessen Ammann wahrscheinlich in Gais wohnte, weil die meisten Leute damals ja in Gais, Herisau und Teufen angesiedelt waren. Das Stift bezog von überall Kirchenzehnten, Zinsen und Abgaben, welche zur Hauptsache aus Landesprodukten bestanden.

Zur Aufbewahrung von solchen Abgaben soll hier im Hof ein Zehntspeicher gestanden sein und dem Ort den

 

Namen                                                           Speicher                                          gegeben haben.

 

Der gegen Trogen hin gelegene Teil der jetzigen Gemeinde Speicher gehörte in die Vogtei Trogen, der westliche Saum mit Teufen in die Vogtei St. Gallen. Der übrige Teil lag ausserhalb der ehemaligen appenzellischen Grenzen und gehörte entweder in die Vogtei St. Gallen und unter den Ammann von Tablat. Vielleicht stand er aber unter einem eigenen Keller, der seinen Sitz hier im Hof hatte. Jedenfalls aber scheint Speicher keine eigene Gerichtsbarkeit gekannt zu haben. In der Urkunde, in welcher der konstanzische Offizial den Bewohnern im Trogener-, Wittenbacher- und Teufener- Amt befiehlt, Beiträge zur Herstellung des Kirchhofes von St. Laurenzen zu liefern, kommen auch Eberli Fribolt, genannt Wirt von Schwendi, und Christian von Benlen, genannt Bederli von Fügelinsegg, als Einsammler der betreffenden Steuer vor. Abt Kuno’s herrschsüchtiger Geist und der immer mehr erwachende Durst des appenzellischen Volkes nach Freiheit passten immer weniger zueinander. Als die Amtsleute des Abtes die Steuern und Gefälle mit immer grösserer Strenge eintrieben, brachen offene Feindseligkeiten aus.

Zwanzig Jahre nach der Einlösung der Reichsvogteien im Appenzellerland verbündeten sich die Gemeinden Appenzell, Hundwil, Urnäsch, Trogen, Speicher und Gais mit der Stadt St. Gallen, um das immer drückender gewordene Joch des Abtes und seiner tyrannischen Amtsleute abzuschütteln. Dies führte zum Kampf zwischen der Herrschsucht und der aufstrebenden Freiheit. Im Jahr 1403 gipfelte dieser Streit dann in der Schlacht bei Vögelinsegg, wo für die Freiheit unseres engeren Vaterlandes das erste Blut vergossen wurde. Zwar war St. Gallen als Folge eines Vermittlungsspruches der Reichsstätte in Schwaben vom Städtebund zurückgetreten, aber Appenzell, das inzwischen von Schwyz ins Landrecht aufgenommen worden war und in den Glarnern neue Freunde gefunden hatte, blieb stets bei seinen Forderungen nach Freiheit und so brach der Krieg los.

 

211 Jahre später konstituierte sich die alte Rhode Speicher im Jahr 1614 zu einer kirchlich und politisch selbständigen Gemeinde.

 

 

Die Schlacht bei Vögelinsegg

 

Es war am 15. Mai 1403, zwei Jahre nach ihrer Verbündung, als die Hochwachten der Appenzeller beim Sonnenaufgang die Scharen des Abtes gegen ihre Landmarken heranrücken sahen. In ihren Reihen befand sich auch Kriegsvolk aus den freien Reichsstätten über dem See, welche früher Appenzeller Bundesgenossen waren. Die Bürgermeister von St. Gallen führten ihre Mannschaft gegen diejenigen, mit welchen sie sich noch vor zwei Jahren gegen ihren mächtigen Unterdrücker verbündet hatten. 5000 Mann zogen über den Linsebühl hinauf gegen das Loch. Voran schritten 200 Zimmerleute mit Äxten, welche die Letzinen der Appenzeller durchbrechen sollten. Ihnen folgten die Reisigen, den Zug schloss das Fussvolk.

Hinter den Letzinen warteten die Appenzeller auf ihren Feind. Sie waren entschlossen, für ihre Freiheit zu siegen oder zu sterben. Weiter unten im Loch verbargen sich auf beiden Seiten des Hohlweges die Verbündeten der Appenzeller aus Schwyz und Glarus. Oben auf der rechten Seite des Hohlweges hatte sich der Appenzeller Hauptmann Härtsch aus Teufen mit weiteren 80 tapferen Kämpfern platziert.

Ungehindert liessen sie den Feind bis zur Letzi vorrücken. Als nun die Zimmerleute die Letzi öffnen wollten und die Reiterei im Hohlweg zusammengedrängt wurde, geschah der Angriff der Appenzeller und ihrer Kampfgenossen. Diese griffen unten beim Loch das Fussvolk an. Weiter oben am Hohlweg schlug und hieb der Harst der Appenzeller auf die Köpfe der unbeweglichen Reiterei ein und eine Gruppe von Kriegern schleuderte und wälzte mit voller Kraft Steine vom Horst gegen den Feind hinunter. Endlich erschien der ganze Haufen der Appenzeller, alles kräftige und gewandte Männer. Der Feind, von allen Seiten angegriffen und eingeengt, versuchte den Kampf in die Ebene zu verlagern. Er hoffte damit, die nacheilenden Appenzeller dort leichter zu besiegen zu können. Aus den ersten Reihen der St. Galler erging daher der Ruf nach hinten: „Zurück !, zurück !“ Die vordersten Gegner wichen und die Reisigen drängten nach. Von allen Seiten aber hieben die Appenzeller, Schwyzer und Glarner gewaltig auf ihre Feinde ein. Da meinten die hintersten, es gelte zur Flucht. Appenzeller, welche sich mit dem Feldzeichen der Städte getarnt hatten, mischten sich unter die Feinde und riefen: „Zurück, zurück! Man flüchte dahinten!“ Jeder wollte sich nun als erster retten. Alles zerstreute sich in wilder Flucht. Die Zahl der Fliehenden übertraf die der Nachjagenden mehr als um das zehnfache. 250 Feinde fielen unter den Streichen der Appenzeller. Furchtbar hauste der Tod in den Reihen der Gegner, welche bis nach Notkersegg verfolgt wurden. Die Appenzeller indes hatten und nur drei Verwundete, aber keinen einzigen Toten zu beklagen.

 

 

 

 

Nach der Schlacht teilten sie mit ihren Helfern die erbeuteten Brustpanzer, Kleider und Waffen. In der folgenden Nacht rächten sich die Appenzeller an den Städtern, indem sie ihnen alle Mühlen anzündeten. Die eroberten Banner von Konstanz, Lindau und Buchhorn (Friedrichshafen) brachten sie nach Appenzell.

Einen Sieger schmückt nichts mehr als Edelmut. Solchen übten einige Appenzeller an einem Bürger von St. Gallen aus. Hartmann Ringli, so hiess er, fand sich schwer verwundet auf der Walstatt und war bemüht, nach seiner Heimat zu gelangen, wo seine Frau, eine zweitägige Wöchnerin, sehnsüchtigst auf ihn  wartete. Er bat seine Gegner, ihn zu schonen. Die Appenzeller waren noch beseelt vom Schlachtenglück, nahmen ihn auf und trugen ihn bis vor die Tore St. Gallens. Dort liessen sie der Frau die Ankunft ihres Gemahls melden. Er wurde in sein Haus gebracht und von seiner Frau mit zärtlicher Liebe empfangen. Doch kurz war ihre Freude, denn schon am folgenden Tag erlag er seinen Verletzungen. Die dankbare Frau vergalt diese Edeltat an den Vollbringern und ihren notleidenden Landesbrüdern und „ noch die spätesten Nachkommen werden das Andenken der beiden Männer ehren, wenn auch ihre Namen, wie diejenigen so vieler Edlen, nur im Buche der Himmels aufgeschrieben sind“, sagt Zellweger.

So war denn der erste Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit glücklich bestanden. Die Heldenkraft der Appenzeller sollte sich aber noch weiter bewähren. An der Wolfshalde und am Stoss trugen sie zwei Jahre später auch den Sieg über den vom Abt zu Hilfe gerufenen Herzog von Österreich davon.

Darauf hin drangen die Appenzeller in die Länder ihrer Feinde ein. Sie zerstörten ihre Burgen und wollten den Untertanen ihrer Gegner die Freiheit bringen. Durch Tapferkeit und Glück zum Schrecken der Feinde geworden, bemächtigte sie aber der Übermut und dafür wurden sie mehr als nur einmal gestraft. Als sie endlich mit ihrer Freiheit zufrieden waren, gaben sie Ruhe und fügten sich wenigstens teilweise in die Rechtssprüche der Eidgenossen. Die Äbte von St. Gallen beschwerten sich dennoch oft, dass die Appenzeller den Sprüchen nicht nachkämen. Abt Ulrich Rösch klagte 1465 die von Speicher an, sie hätten ihm einen Lehenbrief entwendet. Die eidgenössischen Ermittler erklärten, dass die Speicherer vom Abt unangefochten bleiben sollten, wenn sie versichern könnten, dass sie keinen solchen Brief entwendet hätten. Könnten oder wollten sie aber dies nicht tun, wären sie schuldig und müssten dem Abt den Lehenbrief unversehrt zurückstellen. Die Speicherer jedoch leisteten den geforderten Eid.

Die folgende Friedenszeit benutzten sie nun dazu, ihr Hauswesen zu ordnen und durch Loskäufe ihre Freiheiten zu sichern und zu mehren. So wurden von vielen Höfen die Zinsen und Zehnten losgekauft. 1459 geschah das gleiche mit dem Kirchenzehnten von St. Laurenzen, welcher aus dem Trogener- und Steineggerwald bestand und wofür die betroffenen Gemeinden Trogen, Teufen und Speicher 2550 Gulden bezahlten.

Mit der Ordnung der inneren Angelegenheiten wollten sie auch die Grenzen gegen ihre Nachbarn ins Reine bringen, was aber zu vielen Streitereien, Vermittlungen und Urteilssprüchen der Eidgenossen führte. Durch einen solchen Schiedsspruch wurde 1458 auch die nördliche Grenze bestimmt. Diese Grenzlinie gegen die Abteilande, an welche auch unsere Gemeinde stösst, wurde folgendermassen definiert:

“ Item das die Letzi ist also gestellt zwüschen Sant Gallen und Appenzell, das sie auch in der Syter, an das dem end da der Wattbach in die Sytern gatt, und von derselben statt den Wattbach immer daruff, von da an das tuff Tobel gegen Geissersegg, und dann von Geissersegg underem Huff durch Sant Gallen halb, wider Rütti den Hof hin, und ob Rütti hin in Steinegg, von Steinegg uff Füglisegg, von Füglisegg ob Loch dem Hofe durch das Holz, und durch das Holz nider zwüschen Wygern und Hochrütti in Martinstobel von Martinstobel den Krumbach uff zu dem Hoff zu der Linden, und von demselben Hoff zu der Linden das Tal nider, dem Bächlein und dem Wasserfluss nach bis an dass Kilchspähl und Gericht ze Tal“

 

Dieser Spruchbrief wurde 1460 so erläutert:

Als der vorgenannt Spruch unter anderem aufweiset, dass die Letzi gän soll an das Tüftobel gegen Geissersegg, und den von Geissersegg underem Huss durch Sant Gallen halb, das die March auch also bestähn und bleiben söll, und soll dann fürbass, gän von Geissersegg über die Höhn, und auf der Egg ob Rütihius in Steinegg, Mann aber das Holz und der Wald Steinegg, derselbe Wald auch der Nutzung halb, dem vorgenannten Gottshus zustatt, Sant Gallen und Appenzell wert, von der Egg sich, von der Egg auf beide Seiten heldet, darum ist unser Spruch und Erleutrung, dass die March und letze sölle sin und gan ober und durch alle Höhe hin in der Steinegg, und dann hin der Höhe nider auf Füglisegg zu den Hüsren , dieselben Hüser, als sie jetzt ständ, denen von Appenzelle zugehören söllend, und bürbass von Fügelinsegg ob Loch durch das Holz zwüschend den Höfen Wyer und Hochrüti, und dann an dem Holz das ob Wyer liegt nider in Berhardsbach, zwüschend Bernhards Hus und dem Hofe zu Wyle, als den derselb Bach den nächsten flüsset und gat in das Wasser das man nennt die Ach oder Goldach gegen den Fluss  die man nennt an dem Kasten und dannenhin daselb Wasser in dem Tobel auf in den Krummbach, auf solch aufgeschriebener Erläuterung, so soll die March und Letzi vor und nach diesem Stoss bestän, als der Spruch das verwisset.

 

Speicher machte nach dem Krieg einen Teil der Rhode Trogen und später der Rhode Teufen aus, weshalb es auch als eine halbe Rhode bezeichnet wurde. Zu diesen gehörten auch einige Häuser in Habsatt, welche aber heute in der Gemeinde Rehetobel liegen, sowie die Höfe Reute mit der Mühle, Riemen, Halten und Lenden in der jetzigen Gemeinde Grub.

116 Jahre nachdem sich die Appenzeller von den Fesseln der weltlichen Herrschaft befreien konnten, begann Ulrich Zwingli in Zürich die Kirchenreform. In St. Gallen fand er in Dr. Joachim von Watt, genannt Vadian, im Sattlermeister Johannes Kessler, welcher Luther’s und Melanchton’s  Vorlesungen in Wittenberg gehört hatte, sowie im Schulmeister Dominik Zili kräftige Unterstützung. An diese Männer schlossen sich dann auch die Herren Burgauer und Wartern, genannt Jufli, in St. Gallen, Pelagius am Stein in Trogen, Walter Klarer in Hundwyl, Schurtanner in Teufen, Kessler in Gais und weitere an.

Nun war ein neuer Kampf ausgebrochen, der sich über unser Land ausbreitete. 78 Jahre nach Zwingli’s Auftreten in Zürich führte dieser Kampf zur Landteilung und trug  dazu bei, dass sich Speicher 17 Jahre später  zu einer selbständigen Pfarrgemeinde konstituierte. Die Bewohner vor dem Brandbach, welche nach Trogen pfarrgenössig waren und diejenigen hinter dem Brandbach, welche den Gottesdienst in St. Gallen besuchten, vereinigten sich 1614 zu einem eigenen Kirchenbau. Von dieser Zeit an wollen wir ihre Geschichte und ihre Verhältnisse ausführlicher beschreiben.