Eine Gemeinde, deren Bewohner
so regen Anteil an den Verhältnissen des Kantons nahm, konnte auch bei den
entscheidenden Ereignissen unseres Vaterlandes nicht unbeteiligt bleiben. Wir
möchten deshalb noch in Kürze berichten, wie Speicher auch in dieser
Geschichte auftrat.
Die Art und Weise, wie sich
unsere Gemeinde in der Revisionsangelegenheit benahm, lässt keinen Zweifel
offen, dass man auch hier mit Freude hörte, wie sich das Volk unseres
schweizerischen Vaterlandes allmählich von den aristokratischen Einrichtungen
befreite. Die „Sonnengesellschaft“ versuchte vergeblich, sich für einen Teil
ihrer schweizerischen Mitbrüder einzusetzen.
Ganz unerwartet bekam nämlich
diese Gesellschaft am 3. Januar 1831 den Besuch von Konrektor Kürsteiner aus
Basel, welcher wohl von appenzellischer Herkunft, in Basel aber naturalisiert
war. Kürsteiner sagte, er sei von der Stadt Basel, welche soeben siegreich
aus einem Krieg mit dem Land hervorgegangen war, abgesandt worden. Er hätte
den Auftrag, die Stimmung des Kantons Appenzell zu erforschen. Beim Bären in
Teufen betrachtete man ihn aber als Spion und es wurde ihm dringend
abgeraten, sich in anderen Gemeinden zu zeigen, denn dort könnte es ihm noch
schlimmer ergehen. Auch Landammann Oertli, dem er einen Besuch abstattete, um
ihm Briefe zu übergeben und ihm über die Vorfälle in Basel zu berichten,
wollte nichts von ihm wissen. Er erwiderte ihm: „Ich will nichts von
Briefen, brauch keine Auskunft“, stopfte die Pfeife, ging in ein anderes
Zimmer und liess den Abgeordneten stehen. Auch bei Hauptmann Meier in Trogen
war der Empfang kalt. Bei der „Sonnengesellschaft“ hingegen fand Kürsteiner
gute Aufnahme. Er wusste über alles Bescheid, entschuldigte Basel und
verteidigte dasselbe besonders der Appenzeller Zeitung gegenüber so gut als
möglich. Er wünschte sich: „Es möchten von den Gesellschaftsmitgliedern
die Ansichten unseres Volkes über die Ereignisse in Basel an ihre Freunde in
Basel bekannt gemacht und vom Verein auch ein Schreiben an Bürgermeister und
Rat mitgegeben werden“. Beides geschah. Wie aber zu erwarten war, blieb
das Schreiben, worin die Gesellschaft die Stadt in wohlwollendem Ton zu
Frieden, Amnestie und liberaler Verfassung ermahnte, ohne Erfolg.
Die Sonnengesellschaft
interessierte sich auch für eine bessere Bundesverfassung. Da der Entwurf von
Pfeifer und Bornhauser wegen der darin aufgenommenen Stärkung der grösseren
Kantone hier wenig Freunde fand, beauftragte sie einen ihrer tätigsten
Mitglieder, Alt-Landesfähnrich Tobler, über diesen Teil des Entwurfes andere
Vorschläge zu machen. Diese Vorschläge näherten sich mehr dem von Rossi
redigierten Entwurf einer Bundesurkunde der Tagsatzungskommission. Sie
erhielten in einer im „Ochsen“ in Gais durchgeführten und von Tobler
präsidierten Versammlung 118 Unterschriften. Bekanntlich wurde der amtliche
Entwurf der Bundesverfassung 1833 wie von den meisten Kantonen auch bei uns
verworfen. Im nachfolgenden Ersatzentwurf wurden die Rechte der kleinen
Kantone und die Souveränität der einzelnen Völkerschaften noch mehr
beschnitten und trotzdem jubelte das Volk.
Es gab keinen Schweizer, dem
nicht sein Blut in Wallung geriet über die eben so lächerlichen, als auch
empörenden Verunglimpfungen unseres schweizerischen Vaterlandes, welches als
ein Herd der Propaganda verschrien wurde. Begründeten Klagen wäre besser mit
Kraft und Würde entgegengetreten worden und ungegründete Vorwürfe und billige
Forderungen hätten abgewiesen werden müssen! Auch die Auslassungen der
umliegenden Regierungen in den Jahren 1834, 1836 und 1838 und das schwankende
Benehmen der Tagsatzung förderten die Volkswut. Das verletzte Nationalgefühl
der Schweizer äusserte sich in Volksversammlungen. Mehrere Bewohner unserer
Gemeinde nahmen an einer am 7. August 1836 in Flawil durchgeführten
Versammlung teil, nachdem noch in der Woche vorher eine Zusammenkunft
hiesiger Einwohner im „Ochsen“ in Speicher stattgefunden hatte. Die Volksversammlung von Flawil, in dessen
Komitee auch Landeshauptmann Heim von Gais und Dr. Gabriel Rüsch von Speicher
Einsitz nahmen, wurde von 5000 – 6000 Männern aus der östlichen Schweiz
besucht. Man richtete ein Schreiben an die Tagsatzung, worin sie die
erfolgten Eingriffe des Auslandes als tiefste Herabwürdigung des Vaterlandes
erklärte. Die völkerrechtliche Stellung der Schweiz müsse gewahrt bleiben.
Der untertänigen Nachgiebigkeit, dem verleugnenden Benehmen des Vororts und
der Gleichgültigkeit der Mehrheit der Tagsatzung müsse entgegengetreten
werden. Auch die Veröffentlichung der Flüchtlingsakten werde erwartet. In
einer zweiten Adresse wurde die Revision der Bundesakte gefordert. Die
Tagsatzung lehnte diese Forderungen mit 17 gegen 6 Stimmen ab und ging zur
Tagesordnung über.
Nun kommen wir in die
verhängnisvollen Vierzigerjahre mit der aargauischen Klosteraufhebung vom 13.
Januar 1841. Die dadurch hervorgerufene „katholische Konferenz“ der Stände
Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Freiburg im Sept. 1843, an die sich
später sich auch das Wallis anschloss, wollte in den ersten Anfängen nur als
Wahrerin der konfessionellen Rechte gegen den Radikalismus auftreten. Bald
wurde sie aber zu einem Bund gestaltet, der sich als wehrfähige und
organisierte Macht nicht nur dem Radikalismus, sondern der ganzen
Eidgenossenschaft entgegenstellte. Als geistliche Waffenträger dieses Bundes
wurden die Jesuiten am 24. Oktober 1844 nach Luzern berufen. Diesem, die
Verfassung verletzenden Unternehmen, glaubten die Feinde der Jesuiten nicht
anders begegnen zu können, als durch den ebenso illegalen und unbesonnenen
Freischarenzug vom 8. Dezember 1844. Der für die Jesuiten so unglückliche
Ausgang ihres Putsches verbreitete grosses Elend im Kanton Luzern. Der
grössere Teil von ihnen irrte ausserhalb der heimatlichen Grenzen umher und
viele schmachteten im Gefängnis, andere wiederum wurden vom Grossmut ihrer
eidgenössischen Brüder verpflegt. Obwohl der unbesonnene Schritt der Unglücklichen
missbilligt wurde, sprach nun überall die Stimme des Mitleids für sie.
Als sich dann die Anzeichen
mehrten, dass die Verbannten mit den Waffen in der Hand und unterstützt von
Gesinnungsgenossen aus den Kantonen Aargau, Bern und Baselland, ihre Heimat
zurückerobern wollten, da beschlossen zwei junge Bewohner unserer Gemeinde,
Zeugen dieses Kampfes zu werden. Statt des gehofften Sieges der Freischaren
aber sollten sie am 1. April 1845 deren schreckliche Niederlage sehen. Auch
die jungen, unbewaffneten Speicherer wurden gefangen genommen und unter roher
Gewalt in Verwahrsam gebracht. Es war ihnen jedoch erlaubt, ihre Eltern davon
in Kenntnis zu setzen. Diese eilten herbei, um sich für die Befreiung der
Söhne einzusetzen. Der ehemalige Oberstleutnant Johannes Rüsch, der den
Befehlshaber der Luzerner Truppen, General Sonnenberg, aus den sogenannten
Neutralitätsfeldzügen von 1814 und 1815 kannte, setzte sich bei diesem für
die Freilassung der zwei jungen Männer ein. Die Folge davon war, dass ein
Verhör mit ihnen stattfand, aus dem sie als unschuldig hervorgingen. Am 16.
April konnten sie wieder aus den öden Kerkermauern in Gottes schöne Welt
heraustreten und dem unglücklichen Kanton Luzern den Rücken kehren. Sofort
reisten sie zu ihren Familien, wo sie am Sonntag den 19. April glücklich und
wohlbehalten ankamen.
Um dem schwerbetroffenen
Kanton Luzern in seinem Unglück zu helfen, flossen auch im Appenzellerland
reichlich Spenden. Die Sonderbundkantone wurden durch diese Siege immer
frecher und leisteten der Aufforderung der Tagsatzung, ihr Bündnis
aufzulösen, keine Folge. Sie rüsteten sich vielmehr zur bewaffneten
Gegenwehr. Unter der Leitung des ebenso humanen, als umsichtigen Generals
Dufour wurden sie aber nach heftiger, nicht lange dauernder Gegenwehr bezwungen.
Mit grosser Anerkennung
wurden die Sieger in ihrer Heimat aufgenommen. Besonders schön war der
Empfang des Batallions Bänziger, das am 23. November 1847 im Gefecht bei
Gislikon so sehr dem Feuer ausgesetzt gewesen war und 5 Tote und 16
Verwundete zu beklagen hatte. Die während des Krieges zum Schutz des schwer
bedrohten Vaterlandes zu einem Freikorps zusammengescharten Schützen und das
ganze Offizierskorps, welches von den ersten Landesbeamten begleitet war,
zogen ihnen bis nach Bruggen entgegen. Der Zug durch die Stadt St. Gallen,
dessen gesamte Bürgergarde und Kadettenkorps nach kurzem, herzlichem
Beisammensein, die Appenzeller weiter begleitete, war ein richtiger
Triumphzug. Wie in St. Gallen, wartete auf Vögelinsegg schon seit dem
Vormittag eine unabsehbare Volksmasse auf die heimkehrenden Sieger. Die
Stutzer, der ihnen entgegenziehenden Reserve-Scharfschützen, knallten. Knaben
von Trogen und Speicher, letztere die eidgenössische und die 22
Kantonalfahnen tragend, warteten an der Kantonsgrenze, um sich dann dem Zug
anzuschliessen. Nachmittags um halb vier betrat das Batallion, in Begleitung
des Freikorps, der Repräsentanten und einer grossen Volksmasse, endlich die
Grenzen des appenzellischen Vaterlandes. Zu ihrem Empfang war ein
Triumphbogen mit folgender Inschrift errichtet worden:
„Hier, wo die
Väter stark und bieder
einst siegend unser Land befreit,
sei freudig Euch, Ihr Waffenbrüder,
der erste Siegergruss geweiht!“
Manche Träne floss, als die
wackeren Söhne über das Schlachtfeld von Vögelinsegg zogen, wo vor 444 Jahren
unsere Väter mutvoll und glücklich für Freiheit und Vaterland gekämpft
hatten. Ehrfurchtsvoll betrachtete man die Spuren, welche feindliche Kugeln
an den Kleidern unserer Mannschaft hinterlassen hatten. Der Kommandant des
Batallions, der in so grosser Gefahr geschwebt hatte, wurde freudig begrüsst.
Mit inniger Liebe begrüssten Väter und Mütter ihre Söhne und glückliche
Frauen ihre Männer. Brüdern wurde von den zurückgebliebenen Geschwistern die
Hand gedrückt und gewiss stieg manch frommes Dankgebet von Heimgekommenen und
Hiergebliebenen zum Himmel empor. Ein Dankeschön für die gütige Erhaltung der
Krieger und glückliche Errettung des Vaterlandes. Von Speicher aus wurde der
Zug eröffnet. Zuerst eine Kompanie Reserve. Es folgten die Knaben Trogens,
das Offizierskorps der Reserve, ein
Teil des Freikorps, die Landesbeamten mit der Standesfarbe, die vor einigen
Tagen ebenfalls aus dem Feldzug zurückgekehrte Trainmannschaft, die Knaben
von Speicher mit ihren Fahnen der Kantone und der Eidgenossenschaft, die St.
Gallischen Stabsoffiziere und darauf unser gefeiertes Batallion. Eine
Abteilung des Freikorps schloss den Zug, welcher von einer grossen Volksmenge
bis nach Togen begleitet wurde.
Triumphbogen und sinnige Denkmäler prangten. Vier weissgekleidete
Mädchen übergaben dem Batallionskommandanten eine Ehrenschleife mit
Lorbeerkranz, damit die Batallionsfahne verziert werden konnte. Anschliessend
folgte die Abdankung der heimgekehrten Krieger durch Landammann Zellweger.
Diesen glücklichen Tag
feierte man nur einen Monat nach dem heissen Schlachtgewühl bei Gislikon.
Ein knappes Jahr später, am
12. September 1848, brannte auf Vögelinsegg, wie an vielen anderen Orten
ein Freudenfeuer. Es war die Freude
über die Verjüngung des Bundes und die Vereinigung aller Kantone unseres
Vaterlandes. Nachdem es am gähnenden Abgrund geschwebt hatte, konnte es sich
nun zu einem verjüngten Dasein emporschwingen.
Möge der Geist
der Versöhnung, der Liebe zum teuerwerten Vaterlande und der Eintracht alle
beleben!
Möge dieser im
neuen Bunde – denn die Formen allein vermögen es nicht – uns mehr vereinen,
kräftiger beschirmen, als wir es beim alten waren, und möge nie durch zu
grosse Zentralisation geschmälert werden, was der Bund zu schützen bestimmt ist:
die Freiheit des Volkes!
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