Revision

 

Die weiteren politischen Ereignisse des schweizerischen Vaterlandes hatten auf unsere engere Heimat keinen wesentlichen Einfluss. Da es nicht die Sache des Dorf - Geschichteschreibers ist, die Schweizergeschichte zu erzählen, wollen wir nun einige Jahre überspringen und dort weiterfahren, wo entweder einzelne Personen aus unserer Gemeinde, oder diese selbst in der politischen Geschichte unseres Vaterlandes eine bedeutende Rolle spielten. Die Revision von Verfassung und Gesetzen gab genügend Anlass dazu.

Als Appenzell wieder in den Kreis der selbständigen Kantone zurückkehrte, mussten der Regierung besonders die Altersbeschwerden unserer Gesetzgebung aufgefallen sein. Sie übertrug daher an der Jahresrechnung 1816 einer Kommission die Durchsicht des Landbuches. Bevor aber die Kommission ihre Arbeit beenden werden konnte, wurde sie schon angefeindet. Das eigenmächtige Handeln von Seite der Regierung und die spürbare aristokratische Tendenz waren die Hauptgründe der Gegner. Am meisten Widerstand gab es in den Gemeinden Wald, Trogen und Speicher, wo deshalb Versammlungen gehalten wurden. In Speicher kamen die Unzufriedenen bei Johannes Weiss im Gern zusammen, wobei  Alt - Löwenwirt J. H. Schläpfer die Verhandlungen leitete.

Als die Regierung von diesen Zusammenkünften erfuhr, liess sie zur Beschwichtigung des Volkes und zur Abschreckung der Feinde des neuen Landbuches, eine am 17. April 1820 erlassene Verlautbarung von den Kanzeln verlesen. Darin sprach sie ihre Freude über die Wachsamkeit des Volkes für seine bisherigen Rechte und Freiheiten aus. Sie bedauerte aber auch, dass durch eine boshafte Verbreitung falscher Inhalte des neuen Landbuchentwurfes Misstrauen gegen die Regierung gesät und dadurch die Ruhe und Ordnung gefährdet würde. Im Weiteren erklärte die Obrigkeit, dass sie durch gewichtige Gründe bewogen worden sei, die Zeit des allgemeinen Friedens zur bedachtsamen Durchsicht und Erneuerung des Landbuches zu benutzen. Die Hauptgrundlagen unserer demokratischen Verfassung, die Freiheiten und Rechte des Landmannes, die Ehre und das Wohl unseres Kantons würden mit landesväterlicher Sorgfalt und in allen Treuen berücksichtigt. Deshalb halte sie es unter ihrer Würde, die geschmacklosen Verbreitungen, „im neuen Landbuchentwurf sei das freie Wahlrecht des Volkes an Landsgemeinden und Kirchhören eingeschränkt und alle Zedel würden für aufkündbar erklärt werden“, zu widerlegen. Ebenso wenig wäre die Absicht vorhanden, die abgeänderten Artikel vor der gesetzlichen Bestätigung durch die Landsgemeinde in Kraft zu setzen. Das Edikt enthielte auch die Mahnung, der selbstgewählten Regierung mehr Zutrauen zu schenken. Es ergehe die Aufforderung, all jene, welche durch lügenhafte Verbreitungen ihre wohlgemeinten Absichten verleumdeten, an die Behörde anzuzeigen. Zum Schluss warnte die Obrigkeit vor Umtrieben und Versammlungen, deren Folgen schwer auf ihre Urheber zurückfallen könnten.

Der Obrigkeit gelang es aber nicht, das einmal erwachte Misstrauen zu vertreiben, da die aristokratische Tendenz des 1. und 6. Artikels im neuen Landbuchentwurf für alle klar ersichtlich war. Auch neue Volksversammlungen konnten nicht mehr verhindert werden, da das Volk diese unbedingt wünschte. Am 26.April 1820 traten Oberstleutnant Schläpfer als Wortführer, K. Schläpfer aus Wald, Ratsherr J. Graf aus der Schwende, Michael Kriemler von der Kohlhalden in Speicher, Bleicher Ulrich Hofstetter und Johannes Rechsteiner aus Trogen vor den Grossen Rat. Sie stellten das Ansuchen, man möge der kommenden Landsgemeinde folgende Fragen zur Entscheidung vorlegen:

 

1.

Ob man das alte Landbuch beibehalten wolle oder nicht, oder ob man das neue weiterer Prüfung für ein Jahr unterwerfen wolle?

2.

Ob bei künftigen Verbesserungen der Landesgesetze auch Privatleute oder bloss eine Obrigkeit beiwohnen sollen?

3.

Ob die seit Anno 1747 angenommenen Übungen, die noch nicht im Landbuche stehen, auch sollen vor die Landsgemeinde gebracht und ins Landbuch eingetragen werden oder nicht?

4.

Ob man nicht festsetzen wolle, dass in Zukunft keine neuen Artikel in das Landmandat aufgenommen werden, es sei denn, dass sie von der Landsgemeinde angenommen und ins Landbuch eingetragen worden seien?

 

Der Grosse Rat missbilligte ihr Vorgehen mit der Warnung, wenn sie auf ihrem Begehren beharren würden und sich des 2. Artikels im Landbuche bedienen wollten, würden sie sich schuldig machen. Sie müssten dem Präsidium erklären, ob sie sich auf den Stuhl begeben wollten oder nicht. Für jede Störung von Ruhe und Ordnung würden sie schlussendlich verantwortlich gemacht. Nach dieser Antwort zog sich Michael Kriemler zurück. Oberstleutnant Schläpfer trat am folgenden Tag im Namen der übrigen Mitstreiter mit der Erklärung vor den Grossen Rat, dass er sich von den letzten drei Punkten ihres Begehrens distanzieren wolle. Er bat aber den Rat, den ersten Punkt an der nächsten Landsgemeinde ins Mehr zu nehmen. An diesem Tag wäre die Erhaltung von Ruhe und Ordnung besonders wichtig. Der Grosse Rat  beschloss darauf diesem Wunsche zu entsprechen.

An der Landsgemeinde vom 30. April 1820 trat Landammann Oertli auf den Stuhl und nahm, nachdem er den Landbuchentwurf ausgiebig erläutert hatte, folgendes Mehr auf:     

Wem’s  wohl g’fallt, dass man mit dem angefangenen Landbuchentwurf fortfahre, solchen zur Prüfung dem gemeinen Mann in den Gemeinden vorlege und 1821 vor die Landsgemeinde bringe, der hebe seine Hand auf“.

Nur wenige Hände gingen bei dieser Frage in die Höhe. Unter Rufen und Schreien drückten hitzige Gemüter gegen den unteren Landsgemeindestuhl. Aus der Menge riefen Stimmen, man solle diesen Entwurf verwerfen und das alte Landbuch bestätigen. Da das Volk auch vom Einstellen des alten Landbuches nichts hören wollte und das Rufen immer lauter wurde, beschloss die Regierung, über folgende Frage abzustimmen:

Wem’s wohl g’fallt, dass man denselben verwerfe, und das alte Landbuch bestätige, der hebe seine Hand auf“!

Unter lautem Jauchzen fuhren nun die Hände in die Höhe und augenblicklich kehrte auch die Ruhe zurück. Die Leistung des Eides wurde sogleich vorgenommen. Aber nicht nur das Werk selbst wurde verworfen. Noch ehe die Landsgemeinde über dieses abzustimmen hatte, liess sie ihren Unmut an diejenigen aus, welche man für die eifrigsten Freunde des neuen Landbuchentwurfes hielt. Die drei verdienstvollen Männer: Statthalter Merz in Herisau, Landeshauptmann Bänziger in Wolfhalden und Landesfähnrich Eisenhut in Gais wurden abgesetzt und Seckelmeister Tobler in Speicher auf seine eingereichte Demission hin mit unanständigem Lärm entlassen. An ihre Stellen gelangten Johannes Wetter in Herisau als Statthalter, Alt- Seckelmeister Zürcher in Teufen als Seckelmeister, Hauptmann Niederer in Walzenhausen als Landeshauptmann und Oberstleutnant Schläpfer in Wald als Landesfähnrich.

Viele Gegner des  Revisionswerkes waren nicht gegen eine zeitgemässe Reform der Landesgesetze. Ihre Abneigung galt nur den Übergriffen der Regierung und der aristokratischen Tendenz des neuen Entwurfes. So traten am 1. Mai 1821 Ratsherr Graf von Speicher, Hans J. Sonderegger und Hans J. Nänni von Wald, Alt- Landweibel Zähner und Johannes Grubenmann von Bühler vor den Grossen Rat und machten das Ansuchen, „dass künftigen Sonntag einer ehrenden Landsgemeinde der Antrag gemacht werde, das Landbuch zu revidieren und solches mit dem Landmandat in Einklang zu bringen“. Die Antragsteller erhielten folgende Antwort:

„Von E.E. Grossen Rat ist nach sorgfältiger Prüfung des Vortrages der am Schranken stehenden Landleute erklärt worden, dass ihrem Begehren soll entsprochen und beide Artikel der Landsgemeinde zum Entscheid vorgelegt werden“.

An der am 6. Mai stattfindenden Landsgemeinde wurden folgende Anträge gestellt:

 

1.

Ob es dem Landvolk gefalle, dass das Landbuch und Mandat durchgesehen und miteinander verglichen werden, um dieselben, weil sie in einigen Artikeln nicht übereinstimmen, gleichförmig zu machen und auch noch andere notwendige Verbesserungen zu entwerfen?

2.

Ob bei der vorzunehmenden Durchsicht bloss die Obrigkeit, oder auch laut unseren alten Rechten und Freiheiten Privatleute beiwohnen sollen?

 

Nach der Eröffnung obiger Artikel fing das Volk an laut zu werden, sowie dies und jenes zu rufen. Endlich konnten folgende drei Punkte ins Mehr genommen wurden:

 

 

a.

Ob man in obige gemachte Vorschläge eintreten wolle?

 

b.

Oder ob man hierin nicht eintreten wolle?

 

c.

Oder ob man beim vorjährigen Landsgemeindebeschluss verbleiben und das Mandat nach dem alten Landbuch einrichten wolle?

 

Der letzte Punkt erhielt die entscheidende Zustimmung und das Landvolk war zufrieden gestellt. So kehrte man nach dem Schwören des Eides ruhig nach Hause zurück. Die Freunde des Fortschrittes aber trauerten. Als Folge seines Vorstosses wurde Ratsherr Graf am folgenden Sonntag mit 126 gegen 114 Stimmen von der Kirchhöre in Speicher aus seiner Stelle entlassen. Trotz der Resultate dieser zwei Landsgemeinden war die Notwendigkeit, Verfassung und Gesetze mehr den jetzigen Verhältnissen anzupassen, noch nicht erfüllt. Es wagte aber lange niemand mehr, die Sache wieder aufzugreifen.

Der Lesegesellschaft zum „Schäfle“ in Speicher versuchte die Revision des Landbuches nochmals in Gang zu bringen, blieb aber erfolglos. Am 17. März 1829 traten im Namen dieser Gesellschaft die in Speicher wohnhaften Jakob Mösli und Bartholome Lindenmann aus Gais vor den Grossen Rat, um einige Vorschläge zur Verbesserungen von fünf Artikeln des Landbuches vorbringen:

 

1.

Dass der dritte verfallene Zins von der Verfallzeit an noch 6 Monate in Kraft geschirmt werden soll, wie ein Termin oder Bodenzins.

2.

Dass bei Erbschaften in Seitenlinien die Kinder an verstorbener Eltern Stelle für ihren Stamm erben mögen.

3.

Wenn in einer Zivil- oder Polizeistreitsache drei Sätze gesprochen haben und die eine der Parteien glaubt sich hierbei verkürzt, so möge sie dem Rat ihre Gründe vortragen und um andere Untersuchungssätze anhalten; es soll auch der Rat einem solchen Begehren durch Anordnung von drei und in sehr wichtigen Fällen von fünf neuen Sätzen entsprechen, wie auch ein Grosser Rat befugt sei, zu einer endlichen Untersuchung noch einmal, nach der Wichtigkeit der Sache, drei oder fünf Sätze zu ernennen; alles auf Kosten des unrechthabenden Teils. Die Pflicht und Befugnis einer Untersuchungskommission betreffend, so soll eine solche, bestehe sie aus drei oder fünf Gliedern, wenn sie in ihren Ansichten einstimmig ist, ein Urteil sprechen; ist sie aber nicht einstimmig, so soll sie ein Gutachten der Mehrheit und eines der Minderheit verfassen, und zwar mit Beisetzung aller obgewalteten Gründe, und dann diese Gutachten der Behörde, von welcher die Kommission niedergesetzt wurde, zur Prüfung und Entscheidung vorlegen, damit alles, folglich auch das Gutachten der Minderheit, wohlerwogen, und derjenige, der das Recht zu suchen hat, auf keinerlei Weise verkürzt werde. Auch sollen die Richter, welche über eine Streitsache ein Urteil gesprochen haben, über denselben Gegenstand, wenn appelliert wird, nicht nur am kleinen, sondern auch am grossen Rate austreten, folglich über eine Sache nicht mehr als einmal sprechen.

4.

Wenn Personen wegen Sachen die nicht kriminell sind, auf den Klagerodel kommen, solle selbigen eben sowohl, auf ihr Begehren, zu Vortragung ihrer Rechtsgründe vor Rat ein Beistand zugelassen werden, als anderen streitenden Parteien.

5.

Es möchte E. E. Grosser Rat von der nächsten Landsgemeinde beauftragt werden, durch eine Kommission aus seiner Mitte, mit Zuzug zweier anerkannter Tierärzte, einen Entwurf zu einem den Zeitumständen und Bedürfnissen angepassten Schicks- und Markts-Gesetz verfassen und denselben bis Ende laufenden Jahres zum Druck befördern, damit derselbe dem Landvolk zur Prüfung und der Landsgemeinde 1830 zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden könnte; die ersten vier Artikel hingegen dürften der nächsten Landsgemeinde zur Entscheidung vorgelegt werden.

 

Der Grosse Rat nahm ihr Begehren beifällig auf, fand aber die Sache von solcher Wichtigkeit, dass er Bedenken hatte, darüber einen Beschluss zu fassen. Es sollte zuerst eine reifliche und wohlerwogene Prüfung vorgenommen werden. Deshalb gab der Grosse Rat folgende Antwort:

„ Es soll in allen Gemeinde durch die Vorsteher – mit Berücksichtigung der in ihrer Gemeinde herrschenden Stimmung – die Frage beraten und je nach dem Resultat ihrer Beratungen der Landsgemeinde 1830 zum Entscheid vorgelegt werden, ob man in eine teilweise oder gänzliche Revision des Landbuches eintreten wolle oder nicht“. 

 

Von den Vorstehern aus Speicher sprachen sich am 8. Sept. 1829 neun für eine vollständige und zwei für eine teilweise Revision aus. Der Grosse Rat hingegen lehnte die Revision mit 18 gegen 15 Stimmen ab.

Als sich in Paris das Volk gegen den König erhob und ihn vom Throne stiess, ging der Geist der Umgestaltung wie ein Lauffeuer von Land zu Land. Auch im Schweizerland wurden diese Nachrichten von Kanton zu Kanton getragen. Mehrere Stände hatten schon Anstalten zur Verfassungsänderung getroffen. Auch in der appenzellischen Presse (Appenzeller Zeitung) wurden entsprechende Artikel geschrieben. So forderte Dr. Titus Tobler im November 1830 in seinem „Rat am Falkenhorst“ das Appenzellervolk auf, sein Landbuch zu verbessern. Im folgenden Monat tat das gleiche auch Landeshauptmann Nagel in seinem Schreiben: „ Auch ein Wort über das Landbuch“. Der nachherige Statthalter Dr. Heim reichte dem Grossen Rat eine mit vielen Unterschriften aus mehreren Gemeinden versehene Petition ein, worin die Revision als nötig erachtet wurde. Auf Wunsch der Bittsteller wurden die hiesigen Gesellschaften zusammenberufen. Etwa 105 Personen nahmen am 5. Dezember 1830 an der Versammlung teil und unterstützten die von Landesfähnrich Tobler abgefasste Bittschrift der „Sonnengesellschaft“. Der Grosse Rat entsprach ihrem Wunsche bereitwillig und ernannte eine Kommission, welche ihm in der nächsten Sitzung ein Gutachten vorzulegen hatte.

Während sich die Aussichten für eine Revision auf dieser Seite eher günstig gestalteten, drohte ihr eine von Urnäsch ausgehende Bewegung, an deren Spitze Daniel Nef stand, hindernd in den Weg zu treten. An einer von Nef präsidierten Versammlung in Schwellbrunn nahm auch Alt - Landesfähnrich Tobler aus Speicher teil, um die Leute eines besseren zu belehren. Es wurden ihm aber fünf Punkte mitgeteilt, welche der Landsgemeinde vorgetragen würden. Diese betrafen die Revision des Landbuches, ein unparteiisches Gericht, die Bestätigung des 17. und 18. Artikels des alten Landbuches und der übrigen anwendbaren Rechte sowie die Revision des Prozesses wegen der Unruhen in Urnäsch. Im Übrigen zeigten sich diese Leute sehr ungehalten über die Regierung.

Nachdem er vorher schon andere Gemeinden besucht hatte, trat Nef auch am 5. April in Speicher auf, um auch hier die Leute für seine Sache zu gewinnen,. Die Gesellschaften zur „Sonne“ und zum Schäfle, unter deren Mitgliedern sich hauptsächlich Alt- Landesfähnrich Tobler, Hauptmann Zuberbühler, Dr. Gabriel Rüsch und Jakob Mösli um die Sache kümmerten, gaben sich alle Mühe, ihn vom eingeschlagenen Weg abzubringen. So sagte ihm Dr. Rüsch: „Man müsse sich klar machen, was man eigentlich wolle, und die rechten Mittel dazu ergreifen. Wolle man eine Revision, so solle man von Umtrieben absehen, die zu ihren Verwerfung führen“ und verteidigte die Obrigkeit „ die allen Forderungen Genüge leiste“.

Rüsch befürchtete immer, Nef würde sich als Anführer der Gegner noch zu Verderblicherem hinreissen lassen. Dieser versprach zwar, seine Leute von ihrem Vorhaben abzubringen, änderte aber bald seine Meinung. An einer am 7. April im „Schäfle“ von 31 Männern besuchten Versammlung übergab Nef Alt- Landesfähnrich Tobler die Abfassung einer Schrift „zur Belehrung des Volkes“. Den Druck dieses Schreibens wollte Tobler noch verschieben lassen, weil man die Grundsätze Nef’s im Volk nicht gerne zu verbreiten trachtete. Man hoffte noch immer, dass Nef von seinem Vorhaben abzubringen sei. Letzteres geschah dann auch, als er in anderen Gemeinden vor der Sitter ebenso wenig Gehör fand, wie in Speicher. Der Grosse Rat brachte deshalb am 24. April die Frage an die Landsgemeinde, ob man in eine Revision eintreten wolle oder nicht. Diesem Antrag wurde zugestimmt und die Arbeit wurde einer Kommission übertragen, welche aus fünf von der Landsgemeinde und zwei von jeder Gemeinde gewählten Mitgliedern bestand. Am 9. Mai 1831 lud die neu gebildete Revisionskommission jedermann zu Wünschen und Vorschlägen ein. Diese Möglichkeit wurde auch in Speicher benützt:

 

a.

Zwei Lesegesellschaften, welche einen vorzüglich von Dr. Gabriel Rüsch redigierten Verfassungsentwurf unter dem Titel: „ Grundzüge einer appenzellischen Verfassung“ drucken liessen und auch dem Revisionsrat eingaben. Diese begriffen in sich:

1.

Persönliche Freiheit

2.

Sicherheit des Eigentums

3.

Glaubens - und Gewissensfreiheit

4.

Öffentlichkeit der Verhandlungen und Pressefreiheit inner den gesetzlichen Schranken

5.

Gleichheit der Rechte und Pflichten. Den Beisassen ist Stimm- und Wahlrecht zugesichert; nur die  Verwaltung des Gemeindehaushaltes bleibt ausschliesslich den Gemeindegenossen überlassen.

6.

Trennung der Gewalten in

b.

Richterliche

c.

Verwaltende

 

 

 

im Kanton und in den Gemeinden

1.

Aufstellung einer zeitgemässen Kriminalordnung

2.

Festhalten am Schweizerbund

3.

Freie Niederlassung, Handels- und Gewerbefreiheit

4.

Souveränität der Gemeinden in ihren eigenen Angelegenheiten

b.

Landeshauptmann Zuberbühler, der, in Abweichung von obigen Vorschlägen,

1.

gegen die Öffentlichkeit der Sitzungen der verwaltenden und richterlichen Behörden ist, die Verhandlungen aber ohne Rückhalt dem Volke zur Kenntnis bringen würde;

2.

die Pressefreiheit mit dem Beding aufstellen würde, dass ein Pressegesetz entworfen werde, und Pressevergehen ungleich höher zu bestrafen für nötig erachtet, als mündliche Schimpfungen;

3.

gegen Stimm- und Wahlfähigkeit der Beisassen ist;

4.

die Trennung der Gewalten nur soweit ausdehnen würde, als sie in der Folge (in der Verfassung von 1834 durch Aufstellung des Kleinen Rates als eigene richterliche Behörde) wirklich ausgesprochen wurde, mit der einzigen Erweiterung, dass in Fällen, wo die Obrigkeit Richter und Partei zugleich sein müsste, aber nur dann, ein eigenes Gericht gewählt werde, wozu jede Kirchhöre ein Mitglied zu ernennen hätte, welches weder des Kleinen noch des Grossen Rates wäre.

 

Am 2. Juli 1831 liess die Revisionskommission bereits den ersten Verfassungsentwurf von den Kanzeln publizieren. Das Volk wurde dabei eingeladen, ihn zu prüfen und Änderungswünsche oder Anregungen zu machen. Dafür sollte man sich an einen der beiden Abgeordneten der Gemeinde wenden.

Diese Gelegenheit wurde auch in Speicher wahrgenommen von:

 

a.

Eine von obigen zwei Gesellschaften angeordnete, am 25. Juli gehaltene Versammlung von einigen 60 Personen.

 

Der Kürze wegen führen wir nur folgende zwei Wünsche an und verweisen im Übrigen auf die gedruckten Verhandlungen der Revisionskommission:

           

1.

Die landesväterlichen Anordnungen möchten sich nicht nur auf das Kirchen-, Schul-, Militär-, Polizei- und Sanitätswesen, sondern auch auf Arme, Waisen und Vogtkinder ausdehnen.

2.

In Zeiten allgemeiner Not möchten ärmere Gemeinden, die zur Versorgung ihrer Armen alle zu Gebote stehenden Mittel erschöpft haben, bei der Obrigkeit um Unterstützung einkommen dürfen.

a.

Bartholome Lendenmann, dessen wichtigste, nicht auch in die Verfassung aufgenommene Vorschläge in folgendem enthalten sind:

1.

Obrigkeitliche Verordnungen sollen nicht länger als vier Jahre gültig sein; dann soll die Landsgemeinde über ihre fernere Geltung entscheiden.

2.

Die Landsgemeinde schliesst sich in eidgenössischen Angelegenheiten, und wo es sich um Krieg und Frieden, Bündnisse und Traktate handelt, an die Vorschriften des eidgenössischen Bundes und an die Mehrheit der Kantone, insoweit nämlich die Grundsätze und Forderungen mit dem demokratischen Rechten und den appenzellischen Freiheiten vereinbar sind.

3.

Die Landsgemeinde bewilligt von sich aus Steuern und Abgaben, oder erteilt dazu dem Grossen Rate die nötige Vollmacht.

c.

Johannes Waldburger, der in einer langen Eingabe für Vereinfachung des Eides, Schutz gegen Misshandlung der

Tiere, andere Abwechslung der Ämter in den Gemeinden, Steuerung der unvorsichtigen Holzverminderung, kunstgerechte Anlegung der Landstrassen, Stopfung der Quellen der Armut nach Anleitung der Verfassung des israelitischen Volkes, Sanktionierung der Urteile des Grossen Rates von Seite der Landsgemeinde, wo ersterer, ohne ein Gesetz zu haben, urteilen müsse, Duldung gegen andersglaubende, Schullehrerprüfung durch Gemeindeschulkommission mit Zuzug eines Mitgliedes der Landesschulkommission etc. petitioniert.

 

Speicher nahm überhaupt regen Anteil an der Revision und stand mit der Mehrzahl seiner Einwohner auf Seite der Freunde des Fortschrittes. Als die ausserordentliche Landsgemeinde am 18. September 1831 wider Erwarten das Revisionswerk stoppte, war es Speicher, welches die Fortsetzung der Revision verlangte. Mit einer von der „Sonnengesellschaft“ ausgegangenen und mit mehr als 300 Unterschriften aus verschiedenen Gemeinden des Kantons versehenen Petition traten Alt- Landesfähnrich Tobler und Gemeindeschreiber J. J. Tanner am 25. Januar 1832 vor den Grossen Rat und beantragten die Wiederaufnahme des Revisionswerkes. Der Rat lobte ihre gute Absicht, konnte aber ihrem Wunsche wegen des Landsgemeindebeschlusses nicht entsprechen. Die Speicherer waren sehr enttäuscht. Die Freude stieg aber mit dem Resultat der Frühlingslandsgemeinde vom 29. April 1832, welche die Verfassung, mit Ausnahme des Obergerichts und des Gesetzes über die freie Niederlassung, annahm.

Als ein trauriges Kapitel muss das Betragen eines Teils unserer Bevölkerung bezeichnet werden. Das unanständige Lärmen und Toben vom 3. März 1833, das all diejenigen entrüstete, welche Sinn für zeitgemässen Fortschritt hatten, wurde zum Tag des Rückschrittes für unser Land. Die neue Bundesverfassung und die neuen Vorschläge über die Schaffung eines Obergerichts sowie weitere Arbeiten der Revisionskommission wurden verworfen. Zudem wurde eine weitere Abstimmung über die bereits 1832 angenommene Verfassung ertrotzt. Diese wurde dann verworfen und das alte Landbuch wiederum eingeführt. Aus Trotz über die Resultate der Landsgemeinde versammelten sich schon am folgenden Tag 109 Männer im Gasthaus „Linde“ in Speicher. Sie beauftragten Alt - Landesfähnrich Tobler, Dr. Gabriel Rüsch und Lindenwirt Tanner, mit dem Landammann und den Freisinnigen in anderen Gemeinden Rücksprache zu nehmen, was in dieser Sache zu tun sei. Dieser Versammlung wohnte auch Dr. Titus Tobler aus Teufen, sowie Heim und Zuberbühler aus Trogen bei. Ochsenwirt Heim aus Gais, Oberst Bruderer und Hauptmann Meier aus Trogen, begaben sich nun am 6. März 1833 zusammen mit  Dr. Gabriel Rüsch und Lindenwirt Tanner zu Landammann Nagel und Statthalter Signer nach Trogen, wo gerade der Grosse Rat tagte. Landammann Nef war nach dieser turbulenten Landsgemeinde noch unpässlich. Der Grosse Rat empfing die Delegation freundschaftlich, bat aber um Geduld bis zur Landsgemeinde 1834. Er warnte davor, zu grossem Druck auf den Grossen Rat auszuüben, welcher die Gesinnung dieser Behörde beeinflussen könnte. Man müsse die Entstehung aufregender Volksversammlungen vermeiden.

Oberst Bruderer und Dr. Gabriel Rüsch bewogen nun ihre Kollegen, neue Anträge und Proteste beim Grossen Rat über die Landsgemeindebeschlüsse zu unterlassen. Eine angekündigte Generalversammlung wurde als Folge der Beschlüsse der Gemeindeversammlungen in Teufen, Bühler und Gais abgesagt. Dagegen wurde eine Versammlung von Abgeordneten auf den 10. März in Trogen beschlossen. Zu dieser wurden wieder die gleichen Deputierten abgeordnet, welche schon beim Grossen Rat vorstellig geworden waren. Die Ansichten dieser Abgeordneten waren sehr verschieden, alle stimmten aber in der Erklärung über die Gesetzwidrigkeit der Landsgemeindebeschlüsse überein. Ungeachtet der Einwendungen des Aktuars der Versammlung, Dr. Gabriel Rüsch, „dass man sich doch davor hüten müsse, durch die Rückkehr einer gesetzlichen Ordnung den zeitgemässen Verbesserungen den Weg zu versperren und die illegitimen Beschlüsse dürften  nicht durch einen provozierten Landsgemeindebeschluss sanktioniert werden“,  wurde eine Kommission gewählt, welche eine Protestnote gegen die Gegner der Revision abzufassen hatte. Am 11. März 1833 wurde diese Protestnote im „Löwen“ in Speicher von 230 Anwesenden unterzeichnet und sodann der weiteren Zirkulation übergeben.

Am 24. März kamen die Abgeordneten ein weiteres Mal in der „Linde“ in Speicher zusammen, wo Wünsche gesammelt wurden, welche dem Grossen Rat vorgelegt werden sollten. Diese Wünsche wurden am 25. März an einer von 200 Personen besuchten Versammlung im „Löwen“ veröffentlicht:

 

1.

Dass ein ehrsamer Grosser Rat gehörige Massregeln für strenge Handhabung der gesetzlichen Ordnung bei der nächsten Landsgemeinde treffe.

2.

Dass er ein ernstes, kräftiges und populäres Landsgemeindemandat verfasse, in welchem namentlich der 2. und 28. Artikel ausgeschrieben und erläutert, und diese Artikel auch am Landsgemeindetag vorgelesen werden möchten.

3.

Dass er die Landleute über die Mängel, Gebrechlichkeit und Unhaltbarkeit des alten Landbuches gehörig belehre.

4.

Dass er alle an einer künftigen Landsgemeinde sich ergebenden Beschlüsse in allen Teilen pünktlich handhabe und sogleich in Kraft treten lasse.

5.

Dass er alle gesetzwidrigen Beschlüsse der letzten Landsgemeinde für null und nichtig erkläre.

6.

Will man die Fortsetzung des Revisionsgeschäftes einstweilen dem Grossen Rate überlassen

 

Drei Abgeordnete übergaben diese Liste dem in Herisau am 28. und 29. März ausserordentlich versammelten Grossen Rat. Dieser fand die Gemüter noch zu erhitzt, als dass er es wagen dürfte, die Revision schon an der nächsten Landsgemeinde wieder vor das Volk zu bringen. So blieb die Sache nun bis zum Neujahr 1834 liegen, als Speicher nochmals einen Anstoss zum Handeln gab. Auf Ersuchen einer am Neujahrstag in einem Wirtshaus zufällig zusammengekommenen ansehnlichen Gesellschaft berief Dr. Gabriel Rüsch auf den 6. Januar eine Volksversammlung ein. Diese Zusammenkunft, welche im „Löwen“ stattfand, wurde von etwa 260 Personen besucht. Sie fand bald Nachahmer an anderen Orten. Am 18. Januar trafen sich Abgeordnete aus verschiedenen Gemeinden des Landes in Speicher. Dem Wunsch der ungeduldig harrenden Befürworter wurde endlich entsprochen. An der nächsten Landsgemeinde brachte der Grosse Rat die Revision des Landbuches vor das Volk. Die Landsgemeinde beschloss am 27. April 1834, das Revisionswerk wieder anzunehmen und übertrug es einer Kommission, die aus 5 von der Landsgemeinde und 20 von den Gemeinden gewählten Mitgliedern bestand. Die Revision wurde nun, wie Rüsch sagt, „in etwas mässigem liberalen Sinne in grösserer Beachtung der Wünsche und Bedürfnisse des Volkes durchgeführt“.

Für die Einführung dieses Revisionswerkes ordnete der Grosse Rat eine ausserordentliche Landsgemeinde auf den 31. August 1834 an und bestimmte eine Tagesordnung, welche hauptsächlich deswegen grossen Unwillen erregte, weil die Beschlüsse nicht sogleich in Kraft treten sollten. Viele fürchteten, die Vorgänge von 1833 könnten sich wiederholen. Dr. Gabriel Rüsch wurde deshalb vom aufgebrachten Volk bestürmt, in der Folge berief er auf den 10. August 1834 die vierte und letzte Sitzung der Abgeordneten zur „Linde“ in Speicher zusammen. Aus 12 Gemeinden erschienen 26 Deputierte, wovon aber nur diejenigen aus Bühler und Speicher mit Instruktionen versehen waren. Speicher forderte:

 

1.

es möchten die 1832er und 1834er Verfassungsentwürfe einer gegen den anderen gehalten, und

2.

das Obergericht mit einer Probezeit von 4 Jahren in Abstimmung gebracht werden.

 

An der von Arzt Nagel, einem Bruder des Landammanns präsidierten Versammlung wurde gerügt, dass der Grosse Rat das freie Wahlrecht beschränken wolle. Er hätte sich schon früher lange Zeit das Gesetzgebungsrecht angeeignet und darauf willkürliche Bestimmungen wegen der Einführung einer Verfassung gemacht. Diese Voten bewegten die Versammlung zu folgenden Beschlüssen:

 

1.

Es solle an einem ausserordentlichen zu versammelnden Grossen Rat das Begehren gestellt werden, dass er bei dem 4. Artikel des Verfassungsentwurfes an die Landsgemeinde zuerst die Frage stelle, ob man Gericht und Rat trennen wolle.

2.

Dass er, wenn ein Obergericht erkannt werde, neben dem Vorschlag der Revisionskommission auch folgenden ins Mehr setzen lasse:

„ Es sollen 13 Oberrichter so gewählt werden, dass aus keiner Gemeinde mehr als ein Mitglied ernannt werden dürfe, ausser in Herisau 2 Mitglieder“.

3.

Dass er der nächsten Landsgemeinde die Frage vorlege, ob man sogleich die Wahlen vornehmen wolle, welche sich auf die angenommenen Verfassungsartikel beziehen, oder nicht.

 

Dr. Gabriel Rüsch, Arzt Nagel und Scharfschützenhauptmann Frischknecht aus Wald, begaben sich im Namen der Versammlung zu Landammann Schläpfer in Herisau, um ihm den Wunsch zu einer Grossratssitzung mitzuteilen. An der darauf von Schläpfer angesagten ausserordentlichen Sitzung blieb der Rat aber bei der beschlossenen Geschäftsordnung. Die Radikalen waren darüber sehr ungehalten und wollten ihrem Unmut in der Appenzeller Zeitung Luft machen. Dr. Gabriel Rüsch, als Redaktor der Zeitung konnte dies aber verhindern. Die Landsgemeinde nahm am 31. August 1834 in Ruhe und Frieden die neue Verfassung an. Nur das Obergericht wurde abgelehnt.

Die Revision verlief eine Zeit lang ruhig, aber plötzlich wurde das Volk missmutig. Es lag vermutlich daran, dass die späteren Gesetzesentwürfe, namentlich die Zivil- und Kriminalgerichtsordnungen, nicht mehr einfach genug waren. Die wiederholten Versuche, das in der Bevölkerung verhasste Obergericht einzuführen, könnte aber auch dazu beigetragen haben. Die 1837 von Wolfhalden ausgegangene Bewegung gegen die obrigkeitliche Schulordnung verursachte ebenfalls grossen Widerwillen. Die Abneigung gegen alles Neue war wieder gewachsen. Weil die Revision nicht das brachte, was man von ihr erwartet hatte und das Volk all dieser Geschäfte müde war, verwarf es mehrere an der Landsgemeinde vorgelegte Gesetzesentwürfe und liess 1841 die Revisionskommission eingehen.

 

Dies gehört aber nicht mehr in den Bereich der Geschichte von Speicher, denn unsere Gemeinde hatte von 1834 an fast keine Möglichkeit mehr, in die Landesangelegenheiten einzugreifen. Eine dieser Möglichkeiten ergab sich dennoch bei der oben angedeuteten Bewegung gegen die Schulordnung. Eine von der  „Sonnengesellschaft“ in Übereinstimmung mit der Gesellschaft in Trogen angeordnete Volksversammlung erarbeitete sich am 11. Februar 1838 im „Löwen“ in Speicher eine Petition zuhanden des Grossen Rates. Diese wurde im ganzen Land 1914 Mal unterschrieben, in Speicher gab es 269 Unterschriften. Am 14. Februar wurde der an der Spitze der „Schulstürmer“ stehende Weber Sonderegger aus Wolfhalden vom Grossen Rat mit seiner Sache abgewiesen.

Wir überlassen nun die Fortsetzung der Revisionsgeschichte dem Geschichtsschreiber des Kantons. Es sind noch zwei Punkte erwähnenswert, welche zur Entscheidung der Kirchhöre vorgelegt wurden:

 

Die Emanzipation der Beisassen (Einwohner ohne Bürgerrecht) und die Trennung der Gewalten

Wenn ein Landmann von seiner Vatergemeinde in eine andere zog, galt er dort als halber Fremdling. Er verlor sein Stimm- und Wahlrecht, ausser das jenige für die Landsgemeinde. Die vor der Revision des Landbuches herrschende Engstirnigkeit des Volkes mag ein Grund dafür gewesen sein. Beim Entwurf der neuen Verfassung suchte man daher auch die Trennung zwischen den Gemeinden in diesem Sinne aufzuheben und wollte die Einwohner ohne Bürgerrecht als Landesbrüder behandelt wissen. Sie sollten neu auch in politischen Dingen stimm- und wahlfähig sein. Damit die Obrigkeit in einer Streitsache nicht gleichzeitig als Richter und Partei auftreten konnte, wurde die Trennung der verwaltenden und richterlichen Gewalt durch die Verfassung in zweiter und dritter Instanz ausgesprochen, so wie dies in allen geordneten Staaten eingeführt ist. Weil man aber mit der totalen Trennung zu viel Anstoss erwartete, stellte man diese den Gemeinden frei. Dem Beispiel anderer Gemeinden folgend, wollte man auch hier die Beisassen stimm- und wahlfähig erklären, zugleich aber auch von der Trennung der Gewalten Gebrauch machen. Die am 10. Februar 1833 auf Grund der Gesangbuchangelegenheit versammelte Kirchhöre hatte sich ebenfalls mit dieser Sache zu befassen und beauftragte eine Kommission von 7 Mitgliedern, diese zu beraten.

Inzwischen verwarf die Landsgemeinde am aber 3. März die schon angenommene Verfassung. Diejenigen, welche dieser nicht zugetan waren, meinten, dass damit auch die Gewaltentrennung in den Gemeinden von selbst abgeschafft sei. Diese Ansicht teilte jedoch die Mehrheit der vorher erwähnten Kommission nicht. Sie bearbeitete einen in Druck gegebenen Vorschlag und legte ihn einer am 21. April 1833 versammelten Kirchhöre vor, welche laut Rätebeschluss vom 12. April in folgender Reihenfolge darüber abstimmte:

 

1.

Ob der Entscheid über Stimm- und Wahlfähigkeit der Beisassen eingestellt und die Kirchhören wie bisher nur von den Gemeindegenossen gehalten werden sollen, oder

2.

Ob man in eine Abänderung eintreten wolle, und in diesem Falle

3.

Ob nur Stimmfähigkeit, oder Stimm- und Wahlfähigkeit der Beisassen eingeführt werden solle, mit Vorbehalt noch zu stellender Bedingungen.

 

Trotz des Eintretens für die Gleichberechtigung der Bewohner ohne Bürgerrecht durch Dr. Gabriel Rüsch und Lindenwirt Tanner, folgte die Kirchhöre der Ansicht die Vorsteherschaft und stellte die Sache ein. Diese liess man nun bis ins Jahr 1834 auf sich beruhen. Als aber in Folge der neuen Verfassung  am 6. November 1834 die Bestimmung in den Gemeindeaufsatz aufgenommen wurde, „dass die Verwaltung und Pflegschaft der Gemeindegüter nur von den Gemeindegenossen zu besorgen sei und die Beisassen dabei kein Stimm- und Wahrecht haben, in allen anderen Angelegenheiten aber die gleichen Rechte besitzen sollten“, kamen die Ratsmitglieder, welche nicht Gemeindegenossen waren, in den Ratssitzungen in eine verdriesslich Stellung. Sobald Verwaltungsgegenstände zur Sprache kamen, konnten sie nicht teilnehmen und nur dasitzen oder mussten abtreten. Im weiteren hatte die ungleichzeitliche Besetzung der Vorsteher und der Pfleger an der Hauptmannsgemeinde, der Gemeindegenossenkirchhöre und an der Martinikirchhöre das Unangenehme, dass Pfleger aus der Vorsteherschaft oft mitten im Amtsjahr aus der Verwaltung austreten mussten, weil sie an der Hauptmannsgemeinde als Ratsherren entlassen wurden. Die Vorsteherschaft hatte aber so viele Geschäfte zu erledigen, dass eine Erleichterung in dieser Angelegenheit erwünscht war. Deshalb wurde die Schaffung eines besonderen Verwaltungsrates immer wichtiger. Hauptmann Dr. Rüsch, Neffe des oft erwähnten Dr. Gabriel Rüsch, war es, der die Sache anregte. Er schlug am 9. Oktober 1846 in einer Zuschrift an die Vorsteherschaft die Trennung der Verwaltung von Hauptleuten und Räten und die Schaffung einer eigenen Verwaltungsbehörde vor. Dieser Vorschlag wurde sofort einer Kommission zur Begutachtung übertragen und am 30. Oktober zur Ausführung beschlossen. Im November teilte Hauptmann Tanner diese Entscheidung dem Grossen Rat mit. Gleichzeitig stellte er im Namen der Vorsteherschaft die Frage: „ob es auch erlaubt würde, diesem Verwaltungsrat die Besorgung des Vogteiwesens zu übertragen“. Dies wurde aber als Verfassungswidrig (Art. 9) abgewiesen.

Am 7. November beschlossen Hauptleute und Räte: „Die Trennung der Gewalten soll einer ehrsamen Kirchhöre empfohlen werden“. Im Falle einer Anerkennung des Verwaltungsrates durch die Kirchhöre, sollte diesem die Besorgung des Armengutes, des Armenhauses und des Waisenhauses obliegen. Nebst den für die Martinikirchhöre gedruckten Vorschlägen erschienen auch solche von Bartholome Tanner- Staub, Sohn des Gemeindehauptmanns. Die Vorsteherschaft hatte Tanner vorher vergeblich ersucht, seine Vorschläge zurückzunehmen. Nun sollten an der am 22. November zu haltenden Martinikirchhöre folgende Fragen vorgelegt werden:

 

1.

Ob man grundsätzlich in eine Trennung der Gewalten eintreten wolle oder nicht?  Bejahenden Falls

2.

Ob man den Vorschlag der Vorsteherschaft genehmigen wolle oder nicht?

3.

Oder ob man den Vorschlag von Bartholome Tanner genehmigen wolle?

4.

Oder ob man die Sache an eine Kommission weisen wolle?

 

Die Kirchhöre wies beide Vorschläge an eine siebenköpfige Kommission weiter. Diese prüfte nun die Eingaben und legte den revidierten Entwurf einer am 13. Dezember gehaltenen, aber sehr schlecht besuchten Kirchhöre vor. Dieser Entwurf wurde so angenommen, wie er im neuesten Gemeindeaufsatz enthalten ist. Die Mitglieder in den Verwaltungsrat wurden umgehend gewählt. Am Schluss dieses Kapitels wollen wir noch diejenigen Mitglieder erwähnen, welche Speicher in die Revisionskommission wählte.

 

1831

Landeshauptmann Johannes Ulrich Zuberbühler, einer der Aktuare der Revisionskommission

1831

Bartholome Lendenmann von Gais

1832

Landeshauptmann Zuberbühler

1832

Landesfähnrich Tobler von Wolfhalden

1833

Gab es keine Revisionskommission

1834

Dr. Gabriel Rüsch, einer der Aktuare der Revisionskommission

1835

Alt-Landesfähnrich Tobler

1836

Dr. Gabriel Rüsch

1837

Dito

1838

Dito

1839

Landesfähnrich J. H. Rechsteiner

1840

Mathias Zellweger von Trogen