Auswanderung von 1735 und 1736

 

Wenn Führer eines Volkes von Parteileidenschaft geblendet sind und der radikale Geist den Meister spielt, lastet ein schwereres Joch auf dem Volke, als dort, wo das eiserne Szepter eines Despoten regiert. Das hatte Appenzell Ausserrhoden bereits beim Landhandel erfahren.

Um die Unordnung noch länger zu erhalten, folgte auf den Landhandel sofort ein neuer Streit. Der Grund dazu war eine Rekrutenwerbung für Frankreich, über welche sich viele Leute aufregten. In Teufen erlaubten sich die Werber und Rekruten kurz vor Weihnachten Tanz, Spiel und Lärm, obwohl dies gegen die Sitte und die obrigkeitlichen Verordnungen verstiess. Als sie am Vorbereitungssonntag, nach dem Vormittagsgottesdienst, die Trommel schlugen und sich auf dem Kirchenplatz versammelten, kam der Pfarrer mit dem Wirt und dem Fähnrich in einen hitzigen Streit. Bald mischten sich auch die Bauern ein und der Streit wurde bald rechtswidrig. Die Bauern waren erbittert, weil die Regierung den Streit nicht schneller zu Ende führte und den Pfarrer, der 30 Jahre lang sein Amt zur Zufriedenheit verwaltete hatte, ignorierte. Wegen des Verhaltens des Wirtes, welchem der Ausschank zwar nicht verboten war, der aber trotzdem die obrigkeitlichen Auflagen übertreten hatte, zogen am 17. Februar 1735  670 Mann nach Trogen. Durch Zuzug aus anderen Gemeinden wuchs der Haufen auf über 2000 Mann an. Hier, wo eben der Grosse Rat tagte, begehrten sie das Ende dieses Handels. Als ihrem Willen nicht entsprochen wurde und die Herren das Ratshaus verlassen wollten, fielen sie über diese her und führten sie auf die Ratsstube zurück. Der Grosse Rat versammelte deshalb am 25. Februar nochmals in Trogen, um eine Lösung zu finden. Zu ihrem Schutz hatten die Räte etwa 3000 Mann bereitgestellt, welche sich auch in Teufen und Speicher verteilten.

Die Strafgerichte, welche um diese Zeit wieder aktiv waren, vermehrten ebenfalls noch die Zahl der Missmutigen. In diese Zeit der Unzufriedenheit erschienen in St. Gallen und Bern Briefe und Schriften, welche auch bis ins Appenzellerland gelangten. In diesen Schreiben wurde die nordamerikanische Kolonie Karolina gepriesen - als wäre das ein Land, in welchem Milch und Honig fliessen würde. Auch würde das Land unter diejenigen verteilt, welche sich dort niederliessen. Das Ferne erscheint ja bekanntlich angenehmer, als es das Alltägliche bietet. Kein Wunder also, wenn bei dieser Unzufriedenheit eines grossen Teils unseres Volkes viele die Lust zum Auswandern bekamen. Der oben angedeutete Streit wegen der französischen Rekruten-Kompanie half hier natürlich stark mit.

Die Regierung warnte zwar vor der Auswanderung, konnte aber bei der grossen Frust über die Verhältnisse im Vaterland, die Sehnsucht nach einer neuen Heimat nicht unterdrücken. Sie drohte deshalb den Auswanderungswilligen, sie müssten entweder ihr halbes Vermögen zum Trost hinterlassen oder das Landrecht quittieren und dazu 10% vom Vermögen abziehen lassen. Wer sich aber heimlich entferne, werde das Landrecht für immer verlieren.

Trotzdem wollten viele das sturmbewegte Vaterland verlassen um in der Ferne eine friedlichere Existenz aufzubauen.

Am 6. September 1736 versammelten sich in Arbon 99 Personen. Dabei waren Männer, Weiber und Kinder, ganze Haushaltungen und einzelne Personen, welche nach Karolina auswandern wollten. Die meisten kamen aus Teufen und Rehetobel. Es gab aber auch Leute aus Wald, Trogen und Speicher.

An ihrer Spitze standen zwei beliebte Männer - der im Landhandel abgesetzte Landeshauptmann Tobler aus Rehetobel und der oben angeführte Pfarrer Zuberbühler aus Teufen. Dieser hielt an mehrere hundert anwesende Zuschauer, Freunde, Verwandte und Neugierige eine ergreifende Abschiedspredigt über die Worte: „Gehet weg von Ihnen, sondert euch ab!“

Der berührende Akt bewegte viele Herzen. Als das Schiff die Wellen des Bodensees durchschnitt, flossen viele Tränen. Das Segelboot mit den Freunden und Verwandten entschwand auf dem See allmählich den Blicken der Zurückgebliebenen.

Als sie endlich in Süd - Karolina ankamen, liessen sich die meisten nieder. Landeshauptmann Tobler, als Verfasser des Appenzellerkalenders, redigierte diesen noch einige Jahre aus der Ferne. In den Jahrgängen von 1753, 1754  und 1755 machte er eine Beschreibung dieser englischen Kolonie. Aber nicht alle Ausgewanderten fanden hier das Land, auf das sie gehofft und nach dem sie sich so gesehnt hatten. Sie waren eben auch da noch Bewohner einer unvollkommenen Welt. Man bekäme wohl viel Boden, so sagten viele in die Heimat Zurückgekehrte, bis aber dieser endlich angebaut sei und Ertrag abwerfe, sei es schwierig, Nahrung, Kleidung und Decken zu erhalten.

Viele in der Ferne Niedergelassene starben bald. Nur von wenigen erhielt man später bessere Nachricht.